rock will never die
   rock will never die

 30 Jahre Beth Hart

Photo by: Verena

Beth and a piano. No mic, no monitors, no sound desk. JUST WOW!!! I am obsessed with this beautiful lady, her songs and that voice.

 

Zugegeben, jene Worte sind nicht meiner Rhetorik entsprungen, sondern einem verzückten Fan, als Reaktion auf ein privates Video der Sängerin an ihrem Piano, zu Hause. Jedoch hätte ich es nicht besser ausdrücken können. In diesen Worten steckt das gesamte musikalische Paket meiner Emotionen zu Beth Hart. Oft „quäle“ ich mich mit der Frage, warum ich Beth Hart nicht schon früher registriert habe, sie mir ihre audiophile Prägung nicht schon vormals aufgedrückt hat. Doch dann kommt die Wahrnehmung der Dankbarkeit. Dankbarkeit, sie überhaupt entdeckt zu haben, sie hoffentlich noch lange und intensiv erleben zu dürfen. Sie ist ein unumstößlicher Fels in meiner Strömung geworden, hat, ähnlich wie Warren Haynes, mein auditives Verständnis völlig verändert, erfüllt grundlegende, musikalische Bedürfnisse.

 

Die (innerlich) fragile Powerfrau leidet seit früher Kindheit an einer bipolaren Störung, versank im Drogensumpf und musste einen harten Schicksalsschlag hinnehmen: Der Tod ihrer jüngeren Schwester Sharon, welche an den Komplikationen einer AIDS-Behandlung im Alter von nur 22 Jahren verstarb. Ihren frühen Tod verarbeitete Beth in dem unglaublich emotionalem „Sister heroin“.

 

Des Weiteren verzieh sie ihrem Vater in „Tell her you belong to me“ für das früher Verlassen ihrer Familie und fand ihren ganz eigenen Weg zu Gott, abseits der von christlichen Institutionen vorgegebenen Wegen. Sie lernte ihren Mann Scott Guetzkow zu einem Zeitpunkt kennen, wo ihr Leben in einem Stadium war, der sie fast umgebracht hätte. Scott half ihr aus dem Drogensumpf und gab ihr neue Perspektiven. Ihm widmete sie den Song „Over you“. Dann wären da noch die Liebe und Verbundenheit zu ihrer Mutter. Beth liebt ihre Mutter über alles. „Mama this one`s for you“ weiß dies zu bezeugen. All diese emotionalen Lasten hat sie stetig in ihren Texten verarbeitet, sich mit entschlossener Hingabe Raum verschafft.

 

Beth`s Überlebenswille ist außerordentlich. Ihre größten Songs sind jene über Schmerz und Leid und Ihre Geister, die sie immer wieder heimsuchen. Bestes Beispiel hierfür waren ihren frühen Werken “Leave the light on“ und „37 days“, aber auch ihr 2019´er Werk

War in my mind“. Hier räumt sie radikal mit der Vergangenheit auf, zerrt ihre Dämonen ans Tageslicht und rechnet bedingungslos mit ihnen ab. Die Songs auf „War in my mind“ sind dermaßen eindringlich, brennend, aber auch fragil und von einer akustischen anmutenden Attraktivität, dass Du Dich fragst, ob sie vielleicht noch eine mentale Verbindung zu Betty Smith oder Janis Joplin hat. Bewegungslos sitzt Du auf Deinem Hörplatz und musst erst Dich erst mal mit gehörtem emotional arrangieren. Worte helfen hier nicht weiter. Schutzlos ergibst Du Dich den Emotionen, die Dich gerade erfassen, ihrer Musik, Du kannst und willst Dich nicht wehren! Die seelischen Gemütsbewegungen bilden das Fundament ihres Schaffens, oft trauriger Natur, manchmal triumphierend jedoch immer authentisch. Das Einzige, woran Du in solch einer Gefühlswallung denken kannst, ist Ehrfurcht. Kein Danach. Kein Morgen. Kein Gestern. Nur dieser eine Moment, den Du gerade erleben darfst. Es ist wie ein Spaziergang am Rande der Nacht.

 

In einem Interview mit der Zeitschrift Classic Rock 2015 sagte sie einmal selber darüber:

 

Kennst du den alten Spruch: Die Wahrheit wird dich befreien? Wann immer ich diese Songs über die wahren Themen singe – kein Showbiz, einfach nur über das, wovor man Angst hat, wofür man sich schämt oder wonach man sich sehnt –, dann fühle ich mich so, als würde ich in der Energie von Engeln stehen. Es ist seltsam. Ich fühle mich fast wohler dabei, verletzlich zu sein. Wahrscheinlich, weil ich tief in meinem Innersten glaube, dass je ehrlicher und offener ich bin, desto besser stehen meine Chance, nicht nur nüchtern zu bleiben, aber auch nahe am Licht zu bleiben, an Gott.“

 

Die stimmlichen Voraussetzungen hat sie allemal, nie ist jemand näher an Janis Joplin gekommen als Beth Hart. Doch nicht nur gesanglich. Sehe ich das Cover einer Joplin Bootleg-LP von 1971 vor Augen, sehe ich nicht die 1970 verstorbene Sängerin auf dem Bett liegen, ich sehe Beth Hart in ihren jungen Jahren. Weiß man um ihre Vita, versteht man vielleicht ansatzweise ihre teils berückenden Texte, Introspektiv sich selbst beobachtend. Eigentlich gibt es für sowas keine Worte. Beth lebt in ihren Songs. Und ich fühle mich in den Emotionen jener gefangen. Ihr Soundterrain zu betreten, bedeutet gleichzeitig eine musikalische Peripherie zu überschreiten. Eine Intensität solchen Ausmaßes gab es seit Janis Joplin nicht mehr und wird es auch sicher nicht mehr in dieser Form geben. Ich fühle sie mit jeder Phase meines Körpers. Das Emotionsbarometer vollends im Anschlag.                                                                                            Selbstredend hat sie aber auch die andere Seite, die rotzig geile Frontfrau, die „Who lotta love“ von Led Zeppelin interpretiert wie keine andere. Die Schranken niederreißt, tragende Säulen zum Bersten bringt, im ständigen Dialog im ihren Teufeln ist, diese jedoch mit unvermittelbarer lyrischer und tonaler Härte in Grund und Boden stampft. In einer Rezension zu Ihrer oben erwähnten LP „War in my mind“ schrieb ich im Rahmen der Einleitung unter anderem folgenden Satz: Beth Hart ist ein musikalisches Geschoss, eine bluesbasierte Handfeuerwaffe, ein Gesetz. Ich wüsste bis heute nicht es besser auszudrücken.

 

Doch zurück zu den Anfängen. Lege ich die Abtastnadel auf den Start von

Leave the light on“ überkommt mich ein Ozean von Emotionen, die mich minutenlang verharren lassen, mich kurzfristig in einen anderen Geisteszustand versetzen. Ungeachtet der metaphorischen Bedeutung des Textes(Widerstandsfähigeit, selbstzerstörerisches Verhalten, Verlangen nach Liebe) spielt sich das Lied zu 100 Prozent auf der Gefühlsebene ab. Die atemberaubende Intensität und die zarte Verletzlichkeit des Tracks sind außerordentlich. Würde man den Song nachts hören, sich vorstellen, wie er sich durch den Schädel windet, man könnte kaum schlafen. Ihre Musik erreicht mich anders, eindringlicher, geradsinniger. Und so geht es mir mit dem gesamten Album, welches 2003 erstmals in den U.S.A. erschien und erst 2006 in deutschen Landen in leicht abgeänderter Trackliste im Plattenladen stand. Harth beleuchtet hier ihre Dämonen und gibt Einblick in die tiefsten Regionen ihrer so fragilen Seele (Drogensucht und Entzug). Man leidet förmlich mit ihr. Das Album legt intime Details frei. Beth Hart war bereits mit 11 Jahren drogensüchtig.

 

 

Die Bühne: Mit entschiedener Demaskierung kämpft sie gegen ihre Teufel, brüllt, schreit, stößt fast sirenenhaft all ihre Wut in ihren Konzerten heraus, eine expressive Elementarkraft. Im nächsten Moment fließen die Tränen. Eben noch in dem einen Universum, im nächsten Moment schon im nächsten Kosmos. Es wird einem schwindelig. Die Kollaboration aus Beth`s Stimme und ihren Emotionen verlangen auch dem Zuschauer einiges ab, schicken ihn auf eine Reise in sein eigenes, inneres Seelenleben und legen es vor allen anderen bloß. Du kannst nicht entkommen. Und wieder schaue ich ein Stück weiter über den Tellerrand. Das schafft nur Beth Hart. Die Intensität und die Intimität mit der sie auf der Bühne agiert ist schon fast unheimlich. Die glühende Protagonistin lebt ihre Konzerte wie kein zweiter. Aufregenden Vocals, sowie kühne und ergreifende Instrumentals ihrer Band machen ein Beth Hart Konzert unter anderem so einzigartig. Und der Funke zum Publikum springt jedes Mal sofort über. Es ist als würde eine Batterie die andere aufladen. Man spürt die Aura nicht nur, man kann sie fast sehen. Es ist viel mehr als nur eine Gegenüberstellung von Schallquelle und Publikum, es ist ein Verschmelzen. Man muss es selbst erlebt haben, um es zu begreifen. Außerdem pflegt sie eine regelmäßige, lebhafte Konversation mit ihrem Auditorium.

 

Vielleicht denkt nun manch ein Leser an maßloser Übertreibung ob meiner Worte. Sicher, wer sie nicht erlebt hat, sich nicht intensiv mit ihren Alben, vor allem aber mit ihrer Vita beschäftigt hat, dem pflichte bei. Ich übertreibe maßlos. Alle anderen werden mir vielleicht ein klein wenig beipflichten und verstehen, worum es mir geht. Ohne Beth Hart wäre die Musiklandschaft ihres Genres sicher eine andere. Ihr exzeptionelles, rauchig versüßtes Stimmorgan wird uns hoffentlich weiter auf unserem Lebensweg begleiten und noch viele kraftvolle Alben hervorbringen.

 

Danke Beth!

 

 

 

 

rockfrank