rock will never die
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 Bruce Springsteen - Nebraska

 

Titel: Nebraska

Vö: 30.09.1982

Label: Columbia

Wann immer es mir schlecht geht, höre ich „Nebraska“, wann immer ich mich schlecht fühle höre ich „Nebraska“, wann immer es mich wohl fühle, höre ich „Bruce Springsteen“.

(rockfrank)

 

Die folgende LP-Besprechung ist eine besondere für mich. Bruce Springsteen ist seit jeher meine musikalische Gesinnung, “Held“ meiner musikalischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sein schöpferisch vertontes Ethos ist bemerkenswert. Springsteen gibt sich als politischer Beobachter, lebt antirassistische Ideale, ist bodenständiger Rock `n` Roller und einfach nahbar. Wann immer es mir schlecht geht, höre ich Bruce Springsteen, wann immer es mir gut geht, höre ich Bruce Springsteen. Ich lebe einfach mit ihm. Meine emotionale Bindung zu diesem Künstler ist außerordentlich.

 

Eine seiner (anfangs) ungeliebten Perlen ist auch nach über 40 Jahren eine solche geblieben (nur nicht mehr ungeliebt) – „Nebraska“. Nach dem Erfolgsalbum „The River“ hatten seine Fans und Kritiker dato sicher etwas anderes erwartet als die sparsam arrangierten und instrumentalisierten Songs auf „Nebraska“, aber Bruce Springsteen ließ sich nicht irritieren, ging seinen eigenen Weg. Und das war gut so! Lange habe ich überlegt, welche Vorgehensweise ich für dieses Werk wähle, denn es zählt zu einem meiner kaum überbietbaren Lieblingsalben von Bruce Frederick Joseph Springsteen, dementsprechend soll es auch rezensiert werden. 1982 erschienen, ich selbst zählte gerade 11 Lebensjahre meiner Vita, konnte ich also noch gar nicht erahnen, welch erhabenes Werk der Boss dato erschaffen hatte, wie sehr es mich viele Jahre später noch beeinflussen, begleiten sollte. Vielleicht ist es die melancholische Grundstimmung, die sich durch das Album zieht und mich fasziniert, manchmal aufrüttelt, vielleicht jene verzagte Umsetzung einiger Songs, ihre Eindringlichkeit. Das karg gehaltene Album hat seine kosmischen Momente, man muss sie nur zulassen, sie erkennen und sich ihnen fügen. Gemessen an den textlichen Inhalten ist es thematisch eher düster, passt also äquivalent zur erwähnten Melancholie, ohne dabei aber allzu depressiv zu wirken. Es sei dann man will es. Es geht um Schicksalsschläge, Verbrechen, Mord, Gewalt, gescheiterte Liebesbeziehungen und nächtliche Autofahrten. Aber auch die zeitweilig schwierige Beziehung zu seinem Vater verarbeitet er in dem Stück „My father`s house“. Aufgenommen alleine in seinem Haus in Colts Neck - New Jersey auf einem Vierspurgerät, erzählt das Album Geschichten von Isolationen und Missstimmungen in der ländlichen Bevölkerung, gezeugt durch die Situation in der Provinz. Viele der Stücke waren eigentlich als Demoversionen für das Album „Born in the U.S.A.“ gedacht, welches er anno 1982 geplant hatte, entschied sich dann aber doch für dieses nackte Werk als eigenständiges Album, wahrscheinlich um die Bedeutung der Lyriks hervorzuheben, welche im erwähnten Folgewerk, „Born in the U.S.A.“, bei teilweise ähnlicher thematischer Behandlung ja oft missverstanden wurden. Die spärliche Instrumentalisierung in Form von Akustikgitarre und Mundharmonika tut ihr eigenes zur Sache. Nur in zwei Songs kam zusätzlich eine E-Gitarre zum Einsatz.  „Nebraska“ ist somit eine unaufdringliche, aber wirkungsvolle Schöpfung, welche durchaus dem Folkrock zugeordnet werden darf. Für mich schon fast ein Kunsterzeugnis.

 

 

Doch zurück zur Vorgehensweise: Zunächst setze ich mich mit dem Album auf meine Spielfläche. Es ist Mitte Juli, ich mag die langen Tage nicht. Mein „Musikzimmer“ liegt Richtung Westen, die Sonne hat ihre Intensität hier also schon verwirkt, außerdem ist es bereits früher Abend, sodass wenigstens eine annähernd authentische Grundstimmung herrscht. Eingehend betrachte ich die große LP-Hülle. Das Artwork beruhigt mich. Ein Landstrich (in Nebraska?!) aus der Sicht eines Autofahrers, (was nicht verwundert, gerade in seiner Frühphase sang der Mann aus New Jersey gerne von Highways und Autofahrten), ziert das dunkel gehaltene Cover, wirkt beruhigend auf den Betrachter. Behutsam ziehe ich das Vinyl aus seiner Schutzhülle, auf welcher Springsteen nachdenklich in seinem Haus steht, und lege es vorsichtig auf den Plattenteller.

Leises Knistern setzt ein, sofort umgibt eine Aura den Raum. Der Opener und gleichzeitig Namensgeber der LP ist ein melancholischer, ruhiger Folksong, bestimmt durch die markante Stimme des Interpreten. Reduzierte, leidenschaftliche Folkklänge, gepaart mit Springsteen`s akustischer Gitarre bilden den Nährboden des Songs und ein beruhigendes Charisma, welches auch gleich von mir Besitz ergreift. Eingeleitet und im weiteren Verlauf begleitend, wird der Track von Springsteen`s eindringlicher Harp, man ist sofort ergriffen. Sie gibt dem Song seine Relevanz. Achtet man hingegen auf die textliche Abfassung des Stückes, merkt man schnell, dass es hier weniger um Harmonien geht, sondern um einen Serienmörder, der in Nebraska, zusammen mit seiner Freundin, elf Menschen ermordete. Weiß man also um das Handlungsgerüst, verinnerlicht man sich die Lyrics, begreift man erst, wie Musik und Inhalt harmonieren, sich quasi ineinanderfügen. Boss, wie hast du das gemacht? Und so kann es passieren, dass ich mich intensiv in das Stück versetze, es regelrecht einsauge oder meine eigenen Gefühle darin verarbeite, vorzugsweise in trübsinnigen Phasen elegischen Denkens.

Atlantic city, Track zwei, seit jeher ein Klassiker in Springsteen`s Repertoire, hat auch nach all den Jahren nichts von seiner Intensität eingebüßt. Eine wahre Perle, die man unbedingt auch mal live gehört haben sollte. Im Kern handelt er hier das Schicksal eines Kleinkriminellen ab, der anscheinend auf die schiefe Bahn gekommen ist. Der Refrain ist (ein)-prägend und unverkennbar, „meet me tonight in Atlantic city“. Ich liebe dieses Stück! Im folgenden „Mansion on the hill“ hingegen erzählt er von einer Kindheitserinnerung, fast wehmütig klingt Bruce Springsteen hier, gedankenverloren. Unwillkürlich schließe ich die Augen, lasse mich von dem Stück treiben. Was hat man nicht selber in der Frühphase seines Seins alles angestellt, war von Dingen fasziniert, wie der Protagonist hier von einer alten Villa auf einem Hügel. Das angrenzende „Johnny 99“ erzählt von einem Mord, Bruce eröffnet den Track mit gespenstigem Heulen. Überhaupt zieht sich der Tod rein thematisch auf diesem Album durch viele der Songs, meistens durch gewaltsame Taten, wie eingangs erwähnt. Ungeachtet dessen erwische ich mich bei diesem Track beim dezenten Mitwippen. Denn blendet man den Text mal aus, bleibt ein ungezwungener Midtempo track, der sich selbstgenügsam gibt, sich aber trotzdem nachhaltig in mir einbrennt.

 

Es rauscht leise weiter zwischen den Titeln, die Nadel sucht sich ihren Weg durch das Vinyl, Rille für Rille. “Highway patrolman” ist ein ruhiger, folklastiger Song der aufgrund seiner pessimistischen Befindlichkeit ein bisschen meine Gefühlswelt beschreibt. Irgendwie mag ich solche Stücke. Der besungene Charakter in diesem Vokalstück ist ein Staatsangestellter, der einen nichts taugenden Bruder hat, welchen er immer wieder von der schiefen Bahn zurück holt, ihn aus jedem Schlamassel zieht und letztendlich entkommen lässt, als er ihn nach einem Gewaltverbrechern selber jagen muss……Tragisch. Das für mich finale, finstere aber absolut fantastische „State trooper“ ist wohl einer der Höhepunkte depressiv wirkender Songs, ich suhle mich quasi in dem Stück. Seine Unmittelbarkeit trifft mich mit voller Wucht, der Song ist manisch, genau wie die Figur, der er umreißt. Lässt man das Stück näher an sich heran, gewinnt es schnell an Tiefe und Intensität, bildet eine Allianz aus gequälter Psyche und innovativer Klangästhetik, auch wenn das auf Grund der reduzierten Instrumentalisierung etwas überzogen klingt. Dass Springsteen hier eine E-Gitarre einsetzt gerät fast sekundär, so sehr nimmt einen das Stück ein. Man muss Text und Musik einfach im Kontext sehen, dann hat man den Song verstanden. Der bedrohlich wirkende Ausklang in Form eines hysterischen Schreis wirkt gleichzeitig wie ein Weckruf und bestärkt mich in meiner Psyche. Mit nur 03:15 Minuten fällt der Song gefühlt zunächst recht kurz aus, vielleicht ist aber genau das der Schlüssel für seine Wirkung. Je öfter ich ihn höre desto mehr scheint er Besitz von mir zu nehmen….

 

 

Beeindruckt erhebe ich mich von meiner Sitzgelegenheit, drehe vorsichtig die Platte rum und warte gebannt auf die weitere Tonkunst. Und schon mit den ersten Klängen von „Used cars“ beginnt eine innere Entspannungsphase in mir. Keine Ahnung, was es ist, ich gebe mich einfach dem Stück hin, blende formulierte Inhalte aus und lasse mich vom Groove treiben. Es klingt fast kultiviert, gemessen am Gesamtwerk. „Open all night“ dagegen besticht durch den plakativen Einsatz der E-Gitarre, fällt fast etwas aus der Rolle und gibt ein schnelleres Tempo vor, hält man sich das Album gänzlich vor Augen. Auch Bruce Stimmlage ist etwas höher angesiedelt, der Text wirkt relativ rapide abgehandelt. Das mag sich nun etwas aberkennend anhören, ist aber so nicht gemeint. Es kommt nur etwas überraschend in der geraden ruhigen Spanne, die mich eingenommen hat. Die Figur in dem Song jagt derweil in einem frisierten Wagen durch New Jersey auf dem Weg zu seinem Mädchen, welches irgendwo auf ihn wartet. Einfach ein cooler Rocksong, ohne Schandtaten, Kapitalverbrechen, Schurkereien oder Metzeleien. Dann kommt jenes bereits anfangs erwähnte „My father`s  house“. Es erzählt eine ergreifende Story aus Springsteen`s Jugend, bedingt durch die problematische Beziehung zu seinem Vater. Das Stück gewinnt unglaublich an Intensität und Schmerz, die ruhige Melodieführung gibt dem Ganzen einen würdigen Rahmen. Vocals und Harp bilden eine ungezierte Allianz.

 

Das letzte Stück der LP ruft dann doch noch so etwas wie einen Hoffnungsschimmer hervor - “Reason to believe”, an etwas Glauben, es geht weiter. Bruce Springsteen selber sagte einmal über seine Einstellung zur Kirche und Gott sinngemäß folgendes; Ich glaube nicht an das ganze dogmatische Zeug, aber die Idee das Leute zusammen kommen (in einer Kirche) um an etwas gemeinsames zu Glauben, die finde ich gut. Ich denke, jenes entspricht auch meiner Einstellung diesem Thema gegenüber. Ein versöhnlicher Abschluss also auf einem sonst eher missgestimmten Album. Übrigens war ursprünglich auch der ÜberhitBorn in the U.S.A.“ für „Nebraska“ vorgesehen, schaffte es aber nicht auf die Platte und landete 2 Jahre später in einer rockigeren Version auf dem 1984 erschienen gleichnamigen Erfolgsalbum. Der Rest ist Geschichte. Anhören sollte man sich die ursprüngliche Version des Titels aber auf jeden Fall mal (!), um zu begreifen was Bruce Springsteen hier eigentlich publizieren wollte. Man findet ihn auf dem Box-set „Tracks“ bzw. auf der verkürzten Version „18 tracks“.

Was immer auch für eine Botschaft uns Bruce Springsteen mit „Nebraska“ kundgeben wollte, welche Gedanken ihn auch umtrieben, solch ein Album aufzunehmen, musikalisch zumindest ist es angekommen. War er sich der Tragweite seiner Arbeit bewusst? Warum schloss er sich in seinem Haus in New Jersey für die Session ein und nahm alles auf einem Vierspurgerät auf?! Verarbeitete er wohl möglich eigene Sorgen? Fakt ist, ohne jene Platte würde mir heute etwas Fundamentales fehlen. Sie umreißt meine eigenen, oft pessimistischen Gedanken, verstärkt innerliche Missstimmungen, gibt mir auf der anderen Seite aber auch das Gefühl eines Anstoßes, es geht weiter, „Reason to believe“! Aus der Atmosphäre, die die Musik vermittelt, hole ich meine Kraft oder lasse mich runterziehen, je nach Stimmung. Eine Referenzplatte, die das innere meiner Seele spiegeln kann. Besser kann ich es nicht charakterisieren, man muss es einfach hören. Letztendlich hat mir das Album vielleicht auch geholfen, mich mehr mit mir selbst auseinanderzusetzten, ein Stück reifer zu werden, nachdenklicher. Es ist ein tiefgründiges, erschütterndes, substanzielles Werk in der damals noch jungen Laufbahn des Ausnahmekünstlers Bruce Springsteen, fraglos.

 

Vom akustischen Standpunkt will noch gesagt werden das ich mir das Album im Anschluss auch noch mal auf CD angehört habe, und feststellen musste, es liegen Welten dazwischen. Die Vinylversion klingt sehr viel realer, näher und zugänglicher. Einfach fühlbarer. „State trooper“ z.B. wirkt im direkten Vergleich viel krasser als auf der Compact Disc. Das allein rechtfertigt schon die Anschaffung auf dem ausgewählten Tonträger.

 

Für Springsteen „Neueinsteiger“ würde ich sie jedoch eher nicht empfehlen, sie gibt nicht den Bruce Springsteen wieder, der allgemein bekannt ist, den man vielleicht erwartet.

 

 

 

 

rockfrank