rock will never die
   rock will never die

Ina Spang

Sommer irgendwann

 

Verlag: Ulli Verlag Schwabach

Erscheinungsjahr der 1. Auflage: 2022

Das Tonschöpfer, egal aus welchem Genre, sich zeitweilen (abseits von eigenen Biografien) auch literarisch auslassen, ist allseits bekannt. Man denke nur an die leidenschaftlichen Gedichte von Leonard Cohen, den fiktiven Roman „Flüchtig“ von Hubert von Goisern oder „Und die Eselin sah den Engel“ von Nick Cave. In einigen Fällen wird literarisches Schaffen auch in Songmanuskripten eingebettet, sowie im Fall von Ina Spang. Ina ist die Lead-Gitarristin der deutschen Blues-Rock Formation Muddy What? und begeistert zusammen mit ihrem Bruder Fabian regelmäßig ihre Anhänger mit energiegeladenen Live-Performances. Und während andere Musiker sich in ihrer Freizeit nach einem Konzert bei einem Buch entspannen, setzt sich die Gitarristen lieber selbst an die Schreibmaschine und produziert eigene Druck-Erzeugnisse oder zeichnet sich für Illustrationen anderer Bücher verantwortlich. Ihr aktuelles Werk heißt „Sommer, irgendwann“ und passt, zumindest vom Titel her, vortrefflich in die aktuelle Jahreszeit. Doch Inga wäre nicht Inga, wenn sie nicht ihre ganz eigene Art zu Schreiben hätte. Ihre poetische Erzählschleife nimmt Dich gerne mit auf einen kurzen Abstecher, raus aus der Gegenwart, hinein in Deine Fantasie. Dass Potenzial der lebhaften Anschauungskraft, welche sie durch die kurzen Geschichten erzeugt, ist enorm. Die aus den Fugen geratene Welt ist kurz verdrängt. Schön, dass es sowas noch gibt. Die Urheberin generiert regelrechte Sprachbilder.  Nach welchen Vokabeln der Autor dieser Rezension auch immer sucht, um das vorliegende Band zu beschreiben, feierlicher als es im Klappentext steht, kann man es kaum ausdrücken: Eine kurze Sammlung eigensinniger Geschichten, experimenteller Lyrik und inspirierender Bildkunst.

 

Bereichert wird „Sommer, irgendwann“ durch die von der Autorin erzeugten Zeichnungen bzw. bildlichen Ausdrücke, welche dem Betrachter Raum für Interpretation geben. Die Kollaboration der grafischen Bebilderung mit dezenten Begriffsäußerungen erweisen sich als kleine Kunsterzeugnisse.

 

 

Die Verfasserin verzichtet auf einleitende Worte und beginnt nach der Gliederungsebene gleich mit der ersten Kurzgeschichte: „Aljoscha, sag“. In dieser zieht der geliebte Bruder und Sohn vom Lande in die Stadt, will dort sein Glück versuchen. In einer Stadt aus Stoff. In der Stadt der großen Brüder. Das Herz der Schwester weint, ebenso die Mutter, die sagt das Heimat heilig ist. Das Schwesterherz hält es nicht aus, reist dem Bruder hinterher und landet in des Jägers Armen…. Doch lest selbst.

 

Die zwischen der Lyrik einseitigen Bildkünste, lassen, wie eingangs bereits erwähnt, Raum für Sinndeutungen und Anschauungswesen, jene Aspekte durch die unterschiedlichen Schriftarten und Größen noch lebendiger werden. Demonstrative Bildkompositionen die eine Synthese aus Wort und Zeichnung eingehen.

 

Der „Titeltrack“, würde man jetzt bei einer LP sagen, um auch in Inas Hauptgewerbe zu bleiben, „Sommer, irgendwann“, stellt eine zentrale Charakteristik in dem vorliegenden Taschenbuch dar. Schriftsteller bei Nacht und Lehrer bei Tag. Die Geschichte eines unglücklichen Mannes, der für kurze Zeit in dem Irrglaube lebt, Fortuna für sich gefunden zu haben, sich am Ende jedoch nur im Labyrinth verläuft. Aus der Story:

 

Und eines Samstags, bei Dämmerung, die Decke der Wohnung wird tiefer, stürzt fast und er steht auf und zieht die Tür hinter sich zu. Streift durch Straßen, eine Brücke, ein Park und fleckige Lichter am Himmel, modriges Herbstlaub. Der Punkteschal an einem Brunnen, ein roter Mund und er setzt sich daneben, einfach so. Zwei Zigaretten und er versteht nicht, worüber sie spricht, aber es ist auch egal, es ist, als würde er versinken, in ihre Stimme, wie in einem Sog. Tiefes Meergrün und Luftblasen, wirbelnd, schön. Ihren Mantelärmel, sie zieht ihn nach oben, sie kichert, zeigt das Labyrinth auf ihrem Unterarm. Gemalt auf Haut, vielleicht mit Tinte, vielleicht mit Henna, vielleicht auch tief darunter für immer und sie lacht. Er will ihre Kirschlippen küssen und tut es doch nicht.

 

 

Mutter fürchtet die Spinnen“ ist dann einer jener Geschichten, die sich in Song Form auf der gleichnamigen, aktuellen LP von Muddy What?, wieder finden. „Spider legs“ ist eine fast 9-minütige Blues-Rock Ballade, in der die Protagonistin unmissverständlich bekundet, warum sie den Job an der Leadgitarre verrichtet. Ein Gänsehautmoment jagt den anderen. Aber zurück zur Buch-Version: Es geht um 200 Geigen, einen Gefängnisaufenthalt des Bruders der Protagonisten der Geschichte, dem „Teufelsgeiger“, leere Koffer und Spinnenbeine, die wie Finger über Saiten klettern.

 

Insgesamt füllt das kleine Werk 30 Geschichten, Lyriken und Bilder. Allesamt auf hochklassigem Niveau mit Wesenszügen die es zu erspüren gilt und die jede Dichtung ihren ganz eigenen Charme verleihen.

 

Und dann, ganz am Ende von „Sommer, irgendwann“, kommt sie nochmal zum Vorschein. Die Musikerin in der Autorin. Ein Abbild der Künstlerin welches beim ersten Hinschauen, umrahmt von bunten Polygonen und Aureolen, sofort an Janis Joplin erinnert. Der Vintage-Druck verstärkt dabei die Wirkung. Auf der Bühne ist sie zwar die Musikwerk-Bedienerin und ihr Bruder Fabian übernimmt den Gesang, jedoch ist sie auf jenem Foto der 1970 verstorbenen Sängerin ganz nahe.

 

 

Fazit: Die Autorin lässt durch ihr ausgeprägtes Textverständnis dem Leser den Freiraum für eine individuelle Ausdeutung ihrer Arbeit. Sie schreibt kurzweilige Geschichten, die nie schwunglos wirken, den Adressat mit auf kleine Reisen nimmt, in denen er sich gedanklich verlieren kann. Ina Spang beweist in „Sommer, irgendwann“, dass sie zurecht neben der Musik auch das literarische Handwerk makellos beherrscht und sich so in beiden Kreisen eine große Fangemeinde erspielt hat.

 

Kauf Tipp !

 

 

 

all photos by: Ina Spang / Ulli Verlag

 

 

rockfrank