rock will never die
   rock will never die

Gov`t Mule - Peace...Like A River

Titel: Peace...Like A River

Vö: 16.06.2023

Label: Fantasy Records

 

Gab es jemals eine Steigerung einer Steigerung? Als Gov`t Mule 2017 die Langrille „Revolution Come…Revolution Go“ ablieferten, war gefühlt solch ein Punkt erreicht, wo jeder rational denkende Mulehead der Band dachte, dieses Album ist das „Sgt. Pepper`s Lonley Hearts Club Band“ Album der Gegenwart. Das Cafe an der Peripherie unseres Daseins war erreicht, ein Streifzug am Rande der Nacht, gepaart mit dunklen Himmelskörpern am Firmament, war alles, was noch blieb. Der letzte klangliche Kosmos erklommen, musikalisch am Ziel, Steigerung unmöglich.

 

Ganze 4 Jahre vergingen, die einem vorkamen wie Lichtsekunden, in jenem Café, bevor man den rein bluesgetränkten, und somit nicht unbedingt arttypischen Gov`t Mule Longplayer „Heavy Load Blues“ raushaute, welcher Dich erneut in unerreichbare Galaxien schleuderte und Dich anschließend mit voller Wucht zurück auf den Boden katapultierte. Du ließt es einfach geschehene, jegliche Gegenwehr zwecklos und eigentlich auch gar nicht erwünscht.

 

Nun steht mit „Peace…Like A River” das nächste Werk der Ausnahmekünstler aus den Vereinigten Staaten in den heimischen Plattenregalen und Du zweifelst langsam an Deinem Erkenntnisvermögen. Wie schaffen es Warren Haynes und seine Combo Dich immer wieder erneut so zu berühren, aufzurütteln, ergreifen und neue Türen zu öffnen? Die Schaffenspsychologie der Band wird dem Autor dieser Rezension ein Rätsel bleiben. Es geht weiter sternenwärts. Der Bandleader selbst sagte über den Entstehungsprozess des Albums Folgendes:

 

W.H.: Nun, alles beginnt mit dem Schreiben. Während COVID, als wir praktisch alle zu Hause waren, da hatte ich so viel Zeit zum Schreiben, dass ich so viel mehr Material hatte wie schon lange nicht mehr. Ich habe mich ganz bewusst darum bemüht, wieder zu komplexeren Song-Arrangements zurückzukehren. Ich dachte dabei an einige unserer früheren Sachen wie „Left Coast Groovies“ und an andere unserer Songs, die viele bewegliche musikalische Elemente haben. Aber was noch wichtiger war, ich dachte an all die Sounds dieser Art, die uns selbst beeinflusst haben. All unsere Lieblingssounds aus den späten 60ern und frühen 70ern lassen sich nicht in diesen modernen „Strophe-Refrain-Strophe-Refrain“- Rahmen pressen. Einige dieser Lieder hatten sieben oder acht musikalische Abschnitte, nicht nur zwei oder drei. Sie hatten Tempo- und Harmoniewechsel.Und ich dachte, es wäre doch schön, das wieder zurückbringen – komplexere, miteinander verwobene Arrangements. Die ersten vier Songs auf dem Album verdeutlichen das ganz klar. „Same as it ever was“, „Shake our way out“, „Made my peace” und “Peace I need” sind gute Beispiele dafür, diese heutzutage vorherrschend kurze Aufmerksamkeitsspanne herauszufordern.

 

Wir „beschränken“ uns heuer ausnahmsweise auf die CD-Version des Albums, da dieser in der Deluxe-Ausgabe ein zusätzlicher Silberling beiliegt, welcher mit 5 Bonustracks glänzt. Auf die Vinylausgabe, mein primäres Medium, gehe ich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt selbstverständlich nochmal näher ein.

 

 

Jetzt ist die Zeit

Gab es jemals eine andere?

Wenn wir zurückblicken auf alles, was wir verschwendet haben

(Da ist) Eine gute Sache, die wir entdeckt haben

Es ist Zeit, alles nachzuholen, was Du verloren hast

Jahre und Freunde, die Du nicht zurückbekommen kannst

Diese Dinge sind für immer verloren

Die Erinnerungen sterben nie

 

So beginnt „Same as it ever was“, der Opener von „Peace…Like A River“. Ein seelenvolles Intro, dann übernimmt Warren`s mir so vertraute Tonkunst auf seiner Gibson Les Paul ´58 anschließend das Zepter und der Song entwickelt sich zu einer hemmungslosen Fahrt mit progressiven Anleihen, geprägt von der markanten Stimme des Bandleaders und präzisen Keyboardläufen von Danny Louis. Achtet man weiter auf den Text, stellt man fest, dass die Aussage dessen ist, dass das Leben weiter geht, so wie es immer war. Ob sich Haynes hier auf die Corona-Pandemie bezieht oder andere Umstände, lässt der Sänger offen.

 

In „Shake our way out“ besteht bereits Anschnallpflicht. Die wummernde Gitarre, druckvolle Drumms, das verzerrte Timbre von Haynes unterstützt von der rauchigen Kehle Billy Gibbon`s, der hier als Gastmusiker in Erscheinung tritt, machen aus „Shake our way out“ eine hemmungslose Mixtur aus Rock, Funk, mit stilistischen psychedelischen Merkmalen und hemmungslosen Jam-Passagen.

Es ist ein „Mut mach“ Song, der Dich dazu animiert einfach nur zu leben, die Probleme der Welt auszublenden und den Moment zu genießen.

 

Das folgende „Made my peace“ ist eine wahrhaft epische Nummer mit einer musikalischen Ästhetik, die ihresgleichen sucht, gebettet in psychedelischen Wesensmerkmalen, die Dir den Atem rauben. Die Inkarnation aus Pink Floyd archetypischen Merkmalen und Anklängen an die Beatles ist nicht zu überhören.

Die teils doppelspurigen, teils verzerrten Gesangseinlagen des Bandleaders gepaart mit dem tonalen Schaffen der Rest der Band, sind signifikant für den ausufernden Jam-Rock im Mule-Universum. Mit unvermittelter Härte treffen hier Akkorde aufeinander, die im Schlussdrittel den Song völlig außer Kontrolle geraten lassen, butterweiche Pianoeinlagen von Keyboarder Danny Louis leiten hier ein zeitvergessendes Solo von Warren Haynes ein. Die musikalische Bewusstseinsebene ist völlig ausgehebelt, Warren zentrifugiert Dich vom Start an in eine andere Stratosphäre, die Dramaturgie des Songs trifft Dich ins Mark, Du lässt Dich vom Schall ausufernder Klänge treiben. Und wieder ist es Matt Abts, der das Schiff zusammenhält.

 

Der mittlerweile weit entfernte Erdkreis rückt nur langsam wieder in den Mittelpunkt zurück und die folgende Midtempo-Nummer „Peace i need“ versucht Dich wieder zu erden. Vergebens. Das grandios groovende Stück lässt Dich nicht stillhalten und ist von musikalischer Coolness kaum zu übertreffen.                                                                                                   Der dazugehörige metaphorische Text ist eher nachdenklich, es geht um einen Halt im Leben, den man braucht in diesen eher unruhigen Zeiten.

Möglicherweise hat der Protagonist des Songs dann auch jemand gefunden: „You give me peace i need“, fährt es Warren immer wieder heraus.

 

Geerdet wird man dann in „Your only friend“, eine wunderschöne, Southern-Rock anmutenden Ballade, die Raum zum Durchatmen gibt, Dich aber gleichzeitig mit ihrer Intensität und textlichen Inhalten berauscht.                 Das Stück ist durchaus autobiografisch, so war es vorab in einem Interview mit Warren Haynes zu lesen. Er handelt von verschiedenen, ungleichen Beziehungen an verschieden Orten in seinem Leben. Warren`s verträumte Solopassagen untermalen die Ergriffenheit seines tonalen Schaffens und den Inhalt des Songs. Das ist keine Musik mehr, es gleicht einem Kunstwerk, in dem man sich verlieren kann. Die Magie des sehr emotionalen Gesangsstück ist außergewöhnlich. In meditatvier Abgeschiedenheit erliegst Du ihren Emotionen. Warren Hayens ist ein Seelenberührer!

 

Die Auffindung neuer Ausdrucksmittel gelingt Haynes mit textlicher Raffinesse in „Dreaming out loud“, indem er geistreiche Äußerungen von John F. Kennedy, Martin Luther King und dem 2020 verstorbenem Politiker und Bürgerrechtler John Lewis einbaut. Es darf also durchaus auch als Protestsong verstanden werden. Er selbst sagte in dem Interview dazu:

 

W.H.: Rock’n Roll Musik hat schon immer das aktuelle Geschehen widergespiegelt, und wir befinden uns in ziemlich prekären Zeiten. Das zu ignorieren, wäre definitiv der falsche Weg. Die Aufnahmen zu „Revolution come…revolution go“ fanden zu Anfang zum Zeitpunkt rund um die Präsidentschaftswahl 2016 statt; das hat unseren Blickwinkel dahin gezwungen. Nun sind wir hier, Jahre später, in einem ganz anderen Dilemma, aber offensichtlich stehen Amerika und die ganze Welt vor vielen Herausforderungen. Ich wollte mit einigen Songs daran anklingen lassen, aber mehr darauf bezogen, was wir alle gemeinsam fühlen. Auch wenn viele dieser Songs sich auf meine ganz persönliche Reise beziehen, denke ich, dass sich auch andere darin wiederfinden; weil während COVID tatsächlich jeder sich den gleichen Ängsten und Herausforderungen stellen musste.

 

Zusätzliche stimmliche Unterstützung gibt es von den Gastmusikern Ivan Neville und der Grammy-Nominierten (2010) Bluessängerin Ruthie Forster. Beide priesen ihre Dienste schon mal auf Haynes 2011`er Soloalbum „Man In Motion“ an und steuerten dort ihre Gesangsparts bei.                                    Die perkussive Charakteristik eines Matt Abts ist hierbei beispiellos, er sorgt mit seinem energiegeladenen Metrum für den Zusammenhalt in der Band. Und Danny Louis, der ansonsten für die Keyboards zuständig ist, setzt hier zusätzliche Akzente mit der Trompete.

 

 

Zeit die LP-Seite zu wechseln. Gut, wir besprechen hier, wie anfangs erwähnt die CD-Version, aber die anstehende LP-Besprechung wirft ihre Schatten voraus.

 

Head full of thunder“ changiert zwischen Bluesrock und 70`er-Sound und wird hier und da von Doors-artigen Klängen flankiert. Verflochten mit den kräftigen Basslinien von Jorgen Carlsson und einem treiben Beat hält der Song das Niveau des Albums weiter sehr hoch, wirkt der wie ein Fels in der Brandung im Mittelpunkt des Longplayers.                                                      Bei „Head full of thunder“ (Kopf voller Donner, im Sinne von voll von Gedanken, Emotionen, zurückgehaltenen Bedürfnissen) geht es geht um den Ausbruch aus einer ungesunden Beziehung, in der man sich wie im Gefängnis gefühlt hat, eingesperrt, nicht man selbst hat sein können, nicht wertgeschätzt wurde. Dazu immer die Frage "Wie konnte ich Dich nur so auf mir rumtrampeln lassen". Jetzt bricht man aus und sucht einfach Ablenkung, will leben, das ganze Zeug im Kopf loswerden, sich befreien.

 

Dass der amerikanische Schauspieler und Oscarpreisträger Billy Bob Thornton jemals auf einer Platte von Government Mule zu hören sein würde hätte man sicher auch nie gedacht. Was uns in „The river only flows one way” begegnet, sprengt wirklich alle Erwartungshaltungen, sowohl in musikalischer als auch in stimmlicher Hinsicht. Thornton verleiht „The river only flows one way” durch seine tiefe Klangfärbung die richtige Intensität und lässt Dich in einem Strudel aus Emotionen zurück. Dazu erneute Doors-Anleihen, die düstere Stimmung von „Riders in the storm“ ist hier nicht abzustreiten, sowie Reggae-Affinitäten dekoriert mit akrobatischen, dunklen psychedelisch anmutenden Bläsereinsätzen und einem wabernden Orgelsound in John Lord Manier, die in ekstatischen Gefilden verrinnen, dass es Dir unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagt. Dazu wortgewaltige Lyrics (es geht darum, dass egal, wie wir versuchen, unser Leben im Rahmen unserer Möglichkeiten zu beeinflussen und zu gestalten, am Ende des Tages, der Strom des Lebens immer nur in eine Richtung fließt und man letztendlich dem Fluss des Lebens nicht entkommen kann) und die wandlungsreichen Instrumentierungen in tranceartigen Gewändern die fast bewusstseinserweiternd wirken. Zum Schluss erneut die Trompete von Multiinstrumentalist Danny Louis, dessen Töne nun an einen Avantgarde-Jazzmusiker erinnern. Es gibt Dir den psychoakustischen Kick, Rock in absoluter Kunstform. Das musst Du erst mal verdauen. Dazu vereinzelte Textzeilen Warren Hayne`s, die er mit verzerrter Stimme einstreut. Das ergreifende Stück entlässt uns mit seinen Emotionen. Kurz innehalten. Doch die Reise ist noch lange nicht vorbei.

 

After the storm”, mir geht langsam der Wortbestand aus, trifft Dich mit unvermittelter Härte. Sekunde, sind das die Doors? Die Affinität ist keinem anderem Song mehr zu hören als in jenem. Welch eine dreckig, -rotzige Nummer. Hanebüchen hämmert Warren Haynes hier über den Bund und wirft Gitarrenläufe in den Raum, welche kongenial mit Orgel und Bass verschmelzen und einen klanglichen Rahmen schaffen, der einem bluesbasierten Rock-Biest gleicht. Die gesamte Soundanlage droht zu implodieren. Es sind vor allem die Bassläufe von Jorgen Carlsson, die wie ein roter Faden das Grundgerüst des Songs bilden und an einen Pulsschlag erinnern, der jenseits von Gut und Böse liegt. Dazu Triolen und Einzelschläge von Drummer Matt Abts, der durch seine grandiose Rhythmusarbeit die Nähte gerade noch zusammenhält, das Ding wäre sonst durch die Decke gegangen. Hinzu kommen Orgeleinlagen von Danny Louis, die an Deep Purple erinnern lassen, aber eben auch an Ray Manzarek. Haynes selber presst seine Stimme in Morrison Duktus durch den Äther, Du fühlst Dich in der Zeit zurückversetzt. Gerade im Schlussdrittel schleudert Dich das Stück durch den Raum, reißt Dich von Deinem Hörplatz und zerrt Dich zum Vorhof der Hölle! Ich höre meinen Verstärker um Gnade winseln, aber keine Chance. Das musst Du laut hören! "After the storm" gibt einen inhaltlich positiven Ausblick auf das Leben. Soll heißen, nach dem "Sturm", (ob nun die Pandemie oder jegliche persönliche oder globale Lebenskrise, das bleibt der Interpretation überlassen) nimmt man alles positiver, "gereinigt" wahr, akzeptiert den Kreislauf des Lebens, weiß, dass es sich dafür zu kämpfen lohnt; die Leiden der Vergangenheit sind vergessen; man soll sich aufmachen, das Abenteuer Leben mit der neu gefundenen Kraft anzugehen. Dass Kit brennt, erneut ein schnelles, präzises Drumming vom Matt Abts, voll berstender Dynamik bearbeitet Warren Haynes sein Instrument in atemberaubender Präzision, der Feuergeist ist spätestens jetzt erwacht. Der geostationäre Orbit ist erreicht.After the storm“ ist ein musikalisches Erdbeben! Willkommen im Land der grenzenlosen Klangorgien.

 

Just across the river” bringt den Herzschlag wieder deutlich unter Kontrolle, entspannt lehnst Du Dich zurück und lauschst den fast erotisch anmutenden, groovig-funkigen Klängen. Inhaltlich kann es, wer will, religiös auffassen, da auf der anderen Seite des Flusses offenbar eine bessere Welt wartet, man seine Seele erlösen kann. Und die andere Seite des Flusses mit dem goldenen Regenbogen immer näher kommt (Fortschreiten des Lebens?), man findet Ruhe, gelöste und positive Stimmung, Frieden, man wird nach Hause gerufen. Natürlich kann man es metaphorisch auch als die Erlösung und Befreiung, Überwindung von Lebenshindernissen und schwierigen Situationen allgemein betrachten; das bleibt wohl dem geneigten Hörer überlassen. Auch hier holte man sich mit Celisse Henderson eine Gastsängerin ins Boot, welche hier die Gesangparts mit ihrer hellen Soul-Stimme unterstützt. Mit Verlaub, Celisse ist eine stimmlich hervorragende Sängerin, zweifelsohne, jedoch hätte ich mir eine rauere Kehle a la Tina Turner (R.I.P) gewünscht, die den sexy-groovenden Song, der auch soulige Elemente integriert, noch besser untermalt hätte. Nichtsdestotrotz ist es eine gelungene Kollaboration der beiden Künstler geworden. Celisse`s Stimmorgan hat eine Klare und reine Ausprägung. Sie arbeitete bereits mit Brandie Carlie, der Dave Matthes Band, Joni Mitchell und anderen Künstlern zusammen.

 

Celisse Henderson

 

Long time coming” besticht durch orchestral ähnlichen Bläsersätzen, die dem Stück eine jazzige Note verleihen, einem fetten, Hammondlastigen Orgelsound und Warren`s Slidearbeit, die eine Affinität an Jimi Hendrix nicht abstreiten lässt. Auch hier flimmern bissige Seitenhiebe auf die Politik durch.

 

Dabei ist „Long time coming“ ein Song voller Aufbruchsstimmung, sowohl post-pandemisch, als auch politisch zu sehen („Schau Deinen Nachbarn an, er ist nicht Dein Feind). Veränderung liegt in der Luft, es ist Zeit aufzuwachen und zu spüren, wie die Welt sich zum positiven verändert, den Schmerz von gestern hinter sich lassen. Und vom musikalischen Standpunkt her, wie bereits eingangs erwähnt, Rhythmus, Struktur, Akkorde, Melodie, Beat, alles perfekt aufeinander abgestimmt.

 

Gone too long” bildet den Schlusspunkt von „Peace…Like A River”, ein Stück das Warren Haynes David Crosby gewidmet hat und welches inhaltlich/musikalisch etwas am „Made my peace“ erinnert. Warren selbst sagte hierzu in einem Interview mit thecreekfm.com :

 

W.H.: Ja, ich würde sagen, da ist definitiv eine Verbindung. „Gone Too Long“ ist eher wie eine eins-zu- eins-Beziehung mit Deinem Seelenverwandten, erkennt aber in der gleichen Weise an, wieviel Zeit des Lebens man woanders verbracht hat, was es für Schäden verursacht hat und welch große Verluste man auf dem Weg hat erleiden müssen. „Gone Too Long“ ist Song, den ich David Crosby widmen würde, den ich nur flüchtig kannte – wir haben einmal zusammengespielt – aber er war definitiv ein Einfluss. I merkte, dass der Song von seinen (David’s) frühen Anfängen beeinflusst war, und als er dann starb, da machte es auf einmal alles Sinn für mich. Aber vom textlichen Standpunkt aus, da hat es eine nette Wendung am Schluss, „Noch ein Kuss, ich lasse ihn auf meinen Lippen, aber bitte lass mich nicht zu lange wegbleiben“. Irgendwie verbindet es die beiden Enden.

 

Musikalisch knüpft “Gone too long” nahtlos an die vorangegangen 11 Stücke an, jene in ihrer Heterogenität und Diversität eine Gesamtheit bilden die außerordentlich ist. Ein sachter Ausklang eines grandiosen Albums. Das Lied beinhaltet viel Selbstreflexion, es geht auch darum, an einen Punkt im Leben angekommen zu sein, an dem man sich selbst und seinen Lebensweg (unbeschwert auf der Reise, manchmal zu wenig an andere gedacht) bewertet und bestimmte Begegnungen jetzt zu schätzen weiß.

 

Fazit: Ein Fazit per Definition? Unmöglich. Ein Fazit bedeutet auch immer einen Abschluss. Doch den sehe ich hier nicht. Nicht nur in Hinblick auf die weiterführende Bonus-CD, sondern weil „Peace...Like A River“ in einem Streben nach einem universellen Verständnis koexistiert, die Welt versucht zu sterben, Konversation scheint eine aussterbende Kunst, aber Government Mule halten die Fahne hoch, lassen es nicht zu, stemmen sich gegen den Weltschmerz! Die Auseinandersetzung mit herrschenden geistigen Strömungen ist essenziell. Mit „Peace…Like A River“ versinkst Du gedanklich einerseits in Deine Habseligkeiten, die Dir durch dieses Album bewusst werden, anderseits schaust Du nach vorne, denn es geht immer weiter! Das Gesamtwerk nimmt sofort jeglichen Raum, in dem Du es hörst, ein. Was brauchst Du mehr. An Klangreichtum ist das Album kaum zu übertreffen. Die illustren Gäste, wie Billy F. Gibbons, Billy Bob Thornton oder Celisse, färben das Album ein und setzten zusätzliche, musikalische Akzente. Rock `n` roll ist ein Transportmittel.

 

Entstanden ist dieses übrigens in der gleichen Zeit wie „Heavy Load Blues“, 2021. Man nahm tagsüber das aktuelle Album auf und nachts, in einem anderen Raum, „Heavy Load Blues“. Der Albumtitel wurde mehr oder weniger bewusst gewählt. Die beiden Wörter River und Peace kommen relativ häufig in den Songs und Songtiteln vor. Haynes sagte dazu in einem Interview, dass ihm beim Überlegen des Albumtitels, nachdem die Songs schon feststanden, aufgefallen ist, dass jene beiden Wörter relativ häufig vorkommen. Für ihn stand dann schnell fest, dass sie nun auch in den Titel integriert werden müssen. Gerade auf der Bonus-CD aber auch, wie erwähnt in anderen Songs des regulären Longplayers, fiel ihm die Häufigkeit der absichtslos benutzten Wörter auf. Er erklärt dies damit, dass es vor allem in der Lockdown-Zeit, wo er relativ viel geschrieben hat, die es mit seiner inneren Einstellung zu tun hatte, er es einfach transportiert habe und in diesen beiden Worten den Ausdruck schließlich darüber gefunden habe.

 

Das kompositorische Niveau des Vorgängers („Revolution Comes...Revolution Goes“) wurde hier noch einmal getoppt. Warren Haynes als Energiezentrum hält den Karren am Laufen und wir hören hoffentlich noch viel von den Mannen aus den U.S.A. Die Demut dem Blues/Rock/Blues-Rock gegenüber findet man in jedem einzelnem Arrangement der Band. Da, wo die Bedeutung der Musik nachhaltig ihre Spuren hinterlässt, waren Government Mule am Werk. Ihr künstlerisches Leistungsvermögen ist erschreckend.

 

 

Schauen wir uns nun noch die Bonus-CD an, “Time To The Signs

 

Stumblebum“, der erste Titel dieser, kommt in ungezügelter Blues-Rock Manier daher und reiht sich, wenn auch unauffälliger, nahtlos in das Hauptwerk ein. Haynes wechselt sein Arbeitsgerät und gibt dem Song mit elementarer Hingabe und einer anderen Gitarrenstimme eine andersartige Färbung. Ein Rockgewitter.

 

In „Under the tent” verliert sich das Leitmotiv von „Peace...Like A River“ musikalisch ein wenig, ist aber für sich alleine genommen selbstredend eine musikalisch robuste Produktion in Mule-Gepräge.

 

Time stands still”, Namensgeber der Bonus-Ausgabe klingt phasenweise sehr "treibend / getrieben", also eigentlich ganz das Gegenteil vom Songtitel. Die Worte dringen experimentell und sphärisch in meinen Kopf, der Refrain nachdrücklich wie ein Mantra.
 

Das mystisch angehauchte “Blue, blue wind” ist ein außerodentliches, sehr bemerkenswertes Stück auf der Bonus-CD. Aus den bisher so wandlungreichen Instrumentierungen werden gedämpftere Töne, komplemplativer Natur und dessen eher düstere Rethorik mit teilweise schmerzhafte Lyrics lassen viel Raum zur Interpretation. Ein psychedelischer Grenzgänger. Der Song verlangt nach etwas ganz bestimmten, und Deine Aufgabe ist es nun, den Sinn für Dich zu finden. Vielleicht sind es aber auch die Klänge, die mehr erzählen als der Text.....

 

"Blue, Blue Wind"

Blauer, blauer (bzw. trauriger) Wind

Night falling like an angel
Die Nacht fällt wie ein Engel herab
Streets are calling "come on down"
Die Straßen rufen "Komm nur runter"
There's a girl on the corner - she don't know where to go
Da steht ein Mädel an der Ecke - sie weiß nicht, wo sie hingehen soll
Trusted someone, now he's not around
Yeah, he's not around
Hat jemandem vertraut, und jetzt ist er nicht da
Yeah, er ist nicht mehr da

Blue, blue wind is blowing
Trauriger, trauriger Wind weht

People shuffling - shuffling through the darkness
Menschen schlurfen - schlurfen durch die Dunkelheit
Chased by the moonlight - they're all alone
Vom Mondlicht verfolgt - sie sind alle allein

A man with the answer - he'll sell you for a price
Ein Typ mit der Antwort - er verkauft sie Dir für seinen Preis
In the distance you can hear the spirits moan
In der Ferne kannst Du die Geister stöhnen (jammern) hören
You can hear the spirits moan
Du kannst die Geister stöhnen hören

Blue, blue wind is blowing
Trauriger, trauriger Wind weht

Bitter sunrise - morning closing in
Ein bitterer Sonnenaufgang, der Tag bricht an
Ray Charles singing on some broken radio
Ray Charles singt aus einem kaputten Radio

New day, new day - will it bring a change?
Neuer Tag, neuer Tag - wird er eine Veränderung bringen?
Been so long now since I had somewhere to go
Since I had somewhere to go
Es ist so lange her, dass ich ein Ziel hatte,
dass ich ein Ziel hatte

Blue, blue wind is blowing
Trauriger, trauriger Wind weht

 

The river only flows one way” ist dann eine Wiederholung des grandioses, im Haupteil des Rezenssion besprochenen, Titels, diesmal jedoch nicht mit den Vocals des großartigen Billy Bob Thorten, sondern vom Bandleader persönlich, Warren Haynes. Er verleiht dem Gesangsstück durch sein Timbre definitiv das blaue Gefühl. Und ein beruhigender Heimgang. Gemmessen an der Haupt-CD ist “Time to the signs” ein nicht ganz in sich geschlossenes Werk, sind die Stücke doch zu differenziert, jedoch jedes für sich genommen ein unverkennbarer Gov`t Mule Song. Hervorzuheben ist hier sicherlich

Blue, blue wind”, der in seiner Einzigartikeit und Befremdlichkeit deutlich hervorsticht.

 

Gouverment Mule haben mit “Peace...Like A River” sicherlich ihr Meisterstück abgeliefert. Besser geht es nicht. Aber dass dachten wir 1995 auch schon, als ihr selbstbetiteltes Debüt “Gov`t Mule” auf den Markt kam.

 

Danke Jorgen, Matt, Danny und Warren!

 

 

 

 

 

rockfrank

 

Anmerkung:

 

Mein ausdrücklicher Dank geht hier an Sandra B., die sich für alle Überstzungen (Texte und Interview Ausschnitte) verantwortlicht zeichnet und sich konstruktiv in die Bewertung mancher Songs eingebracht hat.