rock will never die
   rock will never die

Flannery O´ Conner

Keiner Menschenseele kann man noch trauen

 

Verlag: Blumenbar Verlag

Erscheinungsjahr der 1. Auflage: 2008

 

Ein Hauch Melancholie liegt in der Luft, das Himmelsfirmament dämmrig und bleiern, verwitterte Schichtgesteine am Wegesrand, letzte Sonnenstrahlen entfremden das Licht, Bäume biegen sich in einem scharfen Mistral, drohender Untergang bahnt sich an, ein letzter, verzweifelter Spaziergang am Rande der Nacht. Zuversichtlichkeit auch nicht von den fragilen Tönen des Protagonisten, der all diese Geschichten mit seiner Klampfe und einer Mundharmonika untermalt, aber doch klammern wir uns daran, ziehen uns jene Klänge in den Bann.

 

Zugegeben, dass ist eine kurze Zusammenfassung auf mentaler Ebene. Jenes, was den Hörer erschüttert, bindet, nicht mehr loslässt. Dabei hat „Nebraska“ noch so viel mehr zu bieten. Jedoch existieren die beschriebenen, gedanklichen Befindlichkeiten vordergründig bis zum letzten Ton. Wenn ein Song Dich fassungslos, konsterniert zurücklässt, Du dem gerade Gehörten machtlos gegenüberstehst (nehmen wir „State trooper“), dann hat er eines erreicht: Die Abgründe Deiner Seele! Du bleibst zurück und fragst Dich, was da gerade passiert ist. Wieso geht der Song nicht weiter, war das wirklich schon das Ende, welchen Sinn hatte er? 

 

Mehr dazu lest ihr hier:

Setzen wir ein solches Ereignis nun literarisch um, landen wir unweigerlich bei Flannery O‘Connor. Denn es waren unter anderem ihre Kurzgeschichten, die Springsteen dazu bewegten, 1982 das Album „Nebraska“ aufzunehmen.                                                        Doch wer war diese O’Connor? Was hat sie verfasst, was den Musiker so aufwühlte? Versuchen wir also zu verstehen, was Bruce Springsteen in seinem Schreiben zu „Nebraska“ hier so beeinflusst hat. In den 10 Songs des Albums „sterben“ nicht weniger als 13 Menschen, 12 davon durch Gewalt. Autofahrten spielen eine Rolle, gescheiterte Beziehungen und Geld. Garniert mit akustischen Klängen, die Dich fesseln.

 

Übrigens kann sich auch ein gewisser Nick Cave nicht von O´Connors Einfluss lossagen, zumindest was seine frühen Werke angeht. Und Springsteen nahm später noch einmal ganz direkt Bezug auf Flannery O’Connor bzw. deren Geschichten. 

   

In dem hier vorliegenden, gebundenen Band, "Keiner Menschenseele kann man noch trauen"versammeln sich 10 Kurzgeschichten der 1925 im Bundesstaat Georgia geborenen Schriftstellerin. In ihren Druck-Erzeugnissen spielt die Gewaltsamkeit eine gewichtige Rolle und auch das absonderliche, bizarre (Charaktere), findet seinen Weg durch ihre Texte.                                                                                                                  Flannery O´Connor formulierte 31 Kurzgeschichten und 2 Romane innerhalb ihres kurzen Lebens. Ihre Geschichten enden oft höhnisch oder, und hier finden wir die Parallele zu „Nebraska“, verstörend. Sie war eine Südstaatenschriftstellerin von strengstem, katholischem Glauben, was ihr Leben diesbezüglich im protestantischen Süden Amerikas nicht einfacher hat werden lassen. Sie reiste 1958 nach Rom und Lourdes und ließ sich vom damaligen Papst segnen. Nur wenige Jahre später, am 03.08.1964, starb sie an den Folgen der seltenen Erbkrankheit Lupus Erythematodes, der auch schon ihr Vater erlag.

 

Der Band beginnt mit der grotesken, dunklen Kurzgeschichte „Ein guter Mensch ist schwer zu finden“. Richtig, so heißt auch ein Bruce Springsteen Song. Parallelen? Auf den ersten Blick nicht, zumindest nicht inhaltlich. Doch schauen wir ein wenig hinter das Bühnenbild. Im Song geht es um eine junge Witwe, die ihren Mann in Vietnam verloren hat,

in O´Connors Geschichte um eine Familie, die durch einen Psychopaten komplett ausgelöscht wird. Die Stimmung allerdings, die beide Geschichten flankiert, ist eine wahrhaftige Parallele. Und es ist eine, wie viele nachkommende dieser Publikation, glück -und freudlose Geschichte. Sie erinnerten Springsteen in Teilen an seine Kindheit und die Menschen und Storys um ihn herum, im Amerika der 1950‘er und 60‘er Jahre.

 

Doch zurück zum Sachverhalt. Ein guter Mensch ist schwer zu finden“ beschreibt auf der einen Seite einen Psychopaten, der sich selbst als Outlaw bezeichnet und innerhalb kurzer Zeit eine ganze Familie durch Erschießen auslöscht. Jene ist die zweite Komponente der Geschichte. Und ist es nicht eher die Familie, die hier substanziell im Zentrum der Erzählung steht? Eine Diskussion um einen Ausflug (Florida oder Tennessee) treibt sie in die „falsche“ Richtung und somit direkt dem Outlaw in die Arme, wobei die Großmutter die tragische Figur der ganzen Story ist. Wegen eines von ihr verursachten Unfalls stirbt die gesamte Familie im Kugelhagel des Outlaws und seinen Begleitern. Zuvor gab es zwischen ihm und der Seniorin eine verbale Interaktion, die das Schlimmste, aus ihrer Sicht, verhindern sollte. Den Leser lässt Flannery O´Connor letztendlich bestürzt ob der Ereignisse zurück, bemühend sich mit dem Ausgang zu arrangieren. Flannery vermittelt uns einen kommunikativen Hergang einer Geschichte, deren Erschließung Aufgabe des Lesers bleibt.

 

 

Desorientiert anderer Art ist dieser in „Eine späte Feindbegegnung“, welche den Südstaatenschlag O´ Connors prägend zum Vorschein bringt. Der Wunsch der Protagonistin jener Erzählung, Sally Poker Sash, ihren 104-jährigen Onkel (vermeintlicher Südstaaten General) auf der Bühne ihres College-Abschlusses haben zu wollen, und dessen irreführende Erinnerungen vergangener Zeiten, ziehen sich durch diese kurze Erzählung und enden letztendlich mit dem Tod des Generals an einem Cola Automaten.  So wie fast jede der 10 Kurzgeschichten mit dem Tod endet. Dieser scheint die Autorin besonders zu „faszinieren“, seine Unabwendbarkeit, die Endgültigkeit. 

 

Die teils grotesken Kurzgeschichten ziehen Dich mit dichterischer Beispiellosigkeit gnadenlos in Deinen Bann, wenig beglückend mit manchmal moralisch zweifelhaften Wendungen, aber immer ganz im Sinne O´Connors. Auch Persönliches bezieht sie mit ein. So taucht in „Der Flüchtling“ beispielsweise ein Pfau auf, von jenen Tieren sie in Andalusia, auf der Farm ihrer Mutter, rund 100 Exemplare hielt. Übrigens auch eine von zwei Geschichten („Der Flüchtling“ und „Die Lahmen werden die ersten sein“), die sich über 2 Kapitel ausdehnt und somit die längsten in ihrem Werk darstellen. Ebenso taucht die Figur der Mutter, in unterschiedlichen Darstellungen, immer wieder in den Geschichten jenes Buches auf. In "Alles, was aufsteigt, muss isch begegnen", spielt, wie auch in anderen Storys der Schreiberin dieses Werkes, die Apartheid eine große Rolle. In einem Bus kommt es zur unvermeidlichen Konfrontation. Die dargestellte Rassentrennung in „Alles, was aufsteigt, muss sich begegnen“ und anderen Dichtkünsten in diesem Band ist ein Ebenbild des Menschenverständnisses zu eben jener Themenstellung. 

 

Doch ohne hier auf alle Umstände, persönlichen Bezüge und inhaltlichen Gegebenheiten des Buches im Einzelnen einzugehen, bleibt die Unergründlichkeit, die Düsternis und die Wortgewaltigkeit O´Connors festzuhalten. Ob nun „Der Fluss“, „Ein Kreis im Feuer“, „Anständige Leute vom Land“ oder „Das jüngste Gericht“, O´Connor ist und bleibt das Bindeglied zwischen ihren Geschichten und dem eingangs erwähnten `Spazierganges am Rande der Nacht´. Die ungeheure Tragweite ihrer unheildrohenden Worte, der lichtarmen, dämmergrauen Handlungsabläufen und der befremdlich, teils sonderlichen Abhandlungen ihrer Erzählkunst wird Dir erst bewusst, nachdem Du alle Geschichten des Werks verinnerlicht hast. Du liegst geistig in der gleichen, lichtarmen Dämmerung und fragst Dich, was da gerade passiert ist.

 

Werfen wir nun noch einen Blick auf die religiösen Aspekte der hier vorliegenden Kurzgeschichten. Die Omnipotent Gott ist nicht weniger ein Thema bei Flannery wie der Tod. Doch geht es hierbei weniger um die Theodizee-Frage als um die Problematik der Existenz des Schöpfers. Immer wieder lässt sie religiöse Aspekte einfließen. Ein undurchsichtiger Prediger in „Der Fluss“, der angeblich heilen kann, und in „Anständige Leute vom Land“ verkauft ein junger Mann Bibeln, diese aber nur zum Schein. Später sagt er in einem Dialog mit einer weiteren Protagonistin aus der Geschichte: „Du glaubst hoffentlich nicht, dass ich an den Mist glaub. Ich verkauf zwar Bibeln, aber man kann mich nicht für dumm verkaufen, und ich bin auch nicht von gestern. Ich weiß, wo‘s langgeht!“ Obwohl O´Connor also sehr gläubig war, beschäftigte Sie sich doch auch immer wieder kontrovers mit dem Thema in ihren Geschichten.

 

Um abschließend aber wieder auf Bruce Springsteen zu lenken bzw. jene Buchkritik in seinem Sinne zu beenden und zu erklären, was ihn nun an Flannerys Werk so faszinierte, lassen wir ihn selbst zu Wort kommen. 2014 sagte er einst in einem Interview auf die Frage, ob es ein einzelnes Buch gebe, das ihn zu dem gemacht habe, was er inzwischen sei, folgendes: * „Es ist schwer, nur eines zu nennen, aber die Kurzgeschichten Flannery O´Connors haben mich tief ergriffen. Mit der Nichterkennbarkeit Gottes, die darin zu spüren ist, mit den unerklärbaren Mysterien des Lebens, die ihre Figuren verstören, begleiten sie mich immer. Die Erzählungen enthielten das Schauerliche meiner Kindheit und gaben mir trotzdem das schöne Gefühl, in der Mitte dieses wirbelnden schwarzen Rätsels zu sitzen, über mir die tanzenden Sterne und gleich darunter die Erde.“

 

Dem ist nichts hinzuzufügen. Zeit, „Nebraska“ aus dem Plattenregal zu ziehen und sich das Album nochmal unter neuen Gesichtspunkten anzuhören.

 

 

 

 

rockfrank

 

 

* Quelle: Keiner Menschenseele kann man noch trauen“.