rock will never die
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Im Gespräch mit....Julian Sas

photo by: Johann Breij

Ich traf den holländischen Blues-Rocker

Julian Sas im Rahmen seiner Electracoustic Tour 2023 

vor dem Soundcheck zu einem Interview.

 

rockfrank: Erst mal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, für rockfrank.com ein paar Fragen zu beantworten. Julian, vor genau 20 Jahren, 2003, sagtest Du mal in einem Interview anlässlich Deines Albums „Delivered“ – „Im Grunde genommen zähle ich noch zum Kreis der Amateurmusiker. Ich arbeite zweieinhalb Tage in der Woche in einem Möbelhaus. Also noch nichts mit Vollprofi-Musiker". Allerdings war „Delivered“ bereits Dein 7. Studioalbum. Ich gehe davon aus, dass Du Deinen Job im Möbelhaus mittlerweile an den Nagel gehängt hast?

 

Julian Sas: Seit langem, ja. Ich kann von der Musik leben,

auch wenn es viel Arbeit ist.

 

rockfrank: Rory Gallagher ist eines Deiner großen Vorbilder. Du coverst ihn auch regelmäßig bei Deinen Live-Konzerten und bewegst Dich, ähnlich wie Rory, auf einem hohen spieltechnischen Niveau. Was hat Dich besonders beeindruckt an seinem Spiel? Gallagher arbeitete mit Pinch-Harmonics, Finger Picking und Legato Techniken.

 

Julian Sas: Für mich war es nicht nur das Gitarre spielen. Für mich war es das Gesamtbild auf der Bühne. Auch die Energie, womit er gespielt hat. Er war einer der „Originalen“, hatte seinen eigenen Weg, Songs zu schreiben. Für mich war Rory Gallagher der große Einfluss, zusammen mit Jimi Hendrix, Alvin Lee oder Johnny Winter. Sie haben einen eigenen Stil entwickelt und diesen Stil dann in ihrer Karriere weiterentwickelt, wodurch sie einzigartige Persönlichkeiten geworden sind, wie Rory Gallagher.

 

rockfrank: Ich bin nicht besonders versiert, was Gitarren angeht; ich höre ihnen lieber zu. Aber spielst Du noch diese rote Gretsch Corvette? Ich frage, weil sie ja auch mal ein Spielgerät von Rory Gallagher war, also wieder ein Hinweis auf Deine Affinität zu ihm.

Was macht den Klang dieses Modells so besonders?

 

Julian Sas: Es war eine Gibson ES-335, die habe ich zu Hause. Aber die ist schon sehr alt und abgespielt.

 

rockfrank: Du hast keine Gretsch Corvette?

 

Julian Sas: Die habe ich auch zu Hause. Aber für die Slide-Songs habe ich eine Telecaster umgebaut, die gefällt mir besser dafür. Für mich war die Gretsch immer eine schöne Gitarre. Aber Gitarren wechseln. Und was Du hören willst, wechselt auch damit. Und seit zwei, drei Jahren habe ich halt mit der Telecaster gespielt.

 

rockfrank: Du nennst rund 40 Gitarren Dein Eigen, so habe ich es mal gelesen. Auf welche bist Du besonders stolz, welches ist Dein wertvollstes Objekt?

 

Julian Sas: 75 Stück! Da ist ein Stratocaster Modell von einem Freund aus Holland, Patrick Goldmann. Sie hat ein reversed headstock, weswegen ich eine längere E-Saite habe und mehr Bass im unteren Tonbereich (Anm. rockfrank: reversed headstock - Kopf und Wirbel (Stimmschrauben) sind falsch herum auf dem Hals montiert, was den Sustain beeinflussen soll, welcher die Zeit des Abfallens des Tons bis zu einer bestimmten Tonhöhe darstellt). Die ist immer dabei, nur auf dieser Tour nicht, weil sie ein neues Reset bekommt.

rockfrank: Man darf Dich ohne Zweifel zu den großen europäischen Bluesrock-Gitarristen zählen. Wo siehst Du die europäische Blues-Szene heute? Hier findet sich, meiner Meinung nach, eine lebendige Vielfalt mit unterschiedlichsten Künstlern und Genres. Hat die Pandemie der Szene geschadet oder ist sie gestärkt daraus hervorgegangen?

 

Julian Sas: Ich glaube Leute wie ich sind „Überlebende“ in der ganzen Szene. Nächstes Jahr bin ich 30 Jahre dabei und ich glaube, dass das Publikum langsam aber sicher wieder so groß werden wird wie es war. Die Corona-Pandemie hat viel kaputt gemacht. Ich habe damals gesehen, dass viele Bands in Holland aufhörten, nicht mehr spielten, ihre Gitarren verkauften. Meistens waren das jugendliche Bands, was natürlich für die (musikalische) Zukunft schlecht war. Sie brauchten ja natürlich die Möglichkeit, um spielen zu können. Und sehr viele Musikkneipen in Holland sind (im Zuge der Pandemie) weggebrochen. Es gibt auch (generell) nicht viele kleine Bühnen in Holland. Es gibt zwar eine Menge Bühnen, aber die sind alle für 400 oder 500 Leute im Publikum ausgelegt. Dort spiele ich seit 25 Jahren. Aber die jungen Leute lassen sie da nicht drauf, weil sie zu wenig Karten absetzen. Und so (kleine) Musikkneipen wir hier heute Abend (Pitcher – Düsseldorf), das ist für mich auch 20 Jahre her; aber ich bin erwachsen, deshalb ist es für mich kein Problem, hier zu spielen.

 

rockfrank: Deine letzte Veröffentlichung ist aus 2022, „Electracoustic“, ein Doppel-Album, auf dem Du Deine neuen Songs in rockigem Gewand und die gleichen Songs dann auch akustisch eingespielt hast, ein genialer und sehr gelungener Schachzug. Viele Songs sind, wie ich annehme, während der Pandemie entstanden, außerdem musstet Du den Verlust Deines langjährigen Bassisten Fotis Anagnostou verkraften. Wie schwierig war es unter diesen Umständen, Pandemie und Verlust, an dem Album zu arbeiten?

 

Julian Sas: Es war schrecklich. Wir hatten zum einen die Pandemie, man konnte nicht zusammen spielen, wir waren viel zu Hause und mussten viel über Telefon etc. machen. Dann wurde Fotis krank. Während er im Krankenhaus lag, haben wir alles für ihn organisiert, wie den Flug nach Griechenland, denn Fotis wollte gerne bei seiner Familie sterben. Wir haben dann am Flughafen Abschied genommen, wo wir eigentlich (auf Grund der Pandemie) gar nicht rein duften, das waren sehr schwere Zeiten. Ich habe mit Fotis vorher sehr viel Musik zusammen geschrieben für das neue Album. Aber er war bei den Aufnahmen nicht dabei. Er war dabei in unseren Herzen, trotzdem war es schwierig. Jedoch der Bassist, der damals die Sachen für Fotis dann eingespielt hat, hat sehr gute Samples gemacht, weswegen wir das Album fertigstellen und veröffentlichen konnten, für die neue Tour. Aber das waren schwierige Zeiten.

 

rockfrank: Fotis ist also gar nicht zu hören auf dem Album.

 

Julian Sas: Nein. Wir hatten viele Ideen zusammen, aber er spielt nicht auf dem Album, das ist das schreckliche. Wir haben sogar versucht, von alten Demos Bassparts von ihm zu nehmen und sie auf der Platte zu integrieren, aber das war unmöglich.

 

rockfrank: Du hast Electracoustic“ unter anderem auf Doppel-Vinyl rausgebracht. Wie schwierig ist es in der heutigen Zeit, in Anbetracht der Streamingdienste, Musik noch auf physischen Tonträgern zu veröffentlichen?

 

Julian Sas: Ich bin seit 20 Jahren bei der gleichen Plattenfirma, und die wissen natürlich genau, was verkaufstechnisch möglich ist und ob das ökonomisch haltbar ist. Wir haben von dieser LP eine limitierte Edition gemacht von 1000 Stück, und ich habe hier bei dieser Tour die letzten Platten dabei. Dann haben wir 1000 Platten in 1 ½ Jahren verkauft. Früher war das nichts, aber in diesen Zeiten ist das sehr, sehr viel.

 

rockfrank: Hast Du selbst noch einen Plattenspieler zu Hause?

 

Julian Sas: Ich habe vier. Durch das ganze Haus hindurch, in meinem eigenen Studio, sind vier Hi-Fi-Installationen verteilt. Ich höre dort z.B. meine Mixe ab.

 

rockfrank: Was würdest Du Deinem 20-jährigem ich heute raten, wenn es ins Musikbusiness einsteigen möchte?

 

Julian Sas: Ich mach das seit meinem 15. Lebensjahr, also, „fang früher an“. Ich habe die Entscheidung getroffen, als ich an einer Universität in Holland war. Ich wäre sonst ein Geschichtslehrer geworden. Aber ich habe damals einmal in einem Tourbus Platz genommen und das hat sich dann nie wieder geändert. Ich habe niemals Schwierigkeiten damit gehabt, dass ich das alles nicht gemacht habe, was die „normalen“ Menschen machen. Das Leben was ich jetzt habe, ist einfach das für mich, was ich leben möchte. Deshalb bin ich ein glücklicher Mensch.

 

rockfrank: Welche Wirkung soll Deine Musik auf die Menschen haben? Was möchtest Du bei ihnen erreichen?

 

Julian Sas: Was für mich das Wichtigste ist, dass die Emotionen da sind, zwischen Band und Publikum. Das sie spüren, was wir spielen und es emotional begreifen.

 

rockfrank: Ich habe mal gelesen Du wohnst nicht weit von Angus Young (AC/DC) in Holland. Ist das richtig?

 

Julian Sas: Jeder wohnt nicht weit von Angus Young in Holland (*lacht*).

rockfrank: Bist Du ihm schon mal begegnet?

 

Julian Sas: Nein. Aber als wir mal in Aalten spielten, dort lebt er, nahe der deutschen Grenze, war er einmal auf einem Konzert von uns. Mit Bodyguards. Er schaute sich das erste Set an und ging nach 45 Minuten wieder raus. Später sagte mir sein Neffe: „Hey Julian, Grüße von Angus, er fand es richtig gut“.

 

rockfrank: Meine letzte Frage bezieht sich auf Deinen persönlichen Musikgeschmack. Stell Dir vor Du ziehst um in ein neues Haus und gibst eine Einweihungsparty. Welche Musik legst Du für Deine Gäste auf?

 

Julian Sas: Das wäre immer „Band Of Gypsys“ von Jimi Hendrix sowie die Allman Brother Band - „At Fillmore East“, Rory Gallagher und solche Sachen. Ich höre mir alles Mögliche an, auch Rap-Musik. Ich bin interessiert an dem, was die jungen Bands machen und was es Neues gibt in der Musikwelt. Neulich habe z.B. ich ein Konzert von Beyoncé im Fernsehen angeschaut. Meine Frau sagte: „Was ist passiert mit Dir?“ Aber ich muss sehen wie das funktioniert, das ist für mich auch Übung. Doch wenn ich entspannt bin, keine Termine habe, zu Hause bin, dann höre ich mir am liebsten die alten Sachen aus meiner Jugend an. Viele Musiker machen das. „Songbook of life“, nennen sie das.

 

photo by: Photographarry

 

Sandra B.: Eine Nachfrage zum aktuellen Album, Julian: Hattest Du bei den Aufnahmen zu Electracoustic den Eindruck, dass manche Songs besser in der einen oder anderen Version funktionierten, sie eher das beabsichtigte Gefühl vermitteln?

 

Julian Sas: Also erstmal muss ich dazu noch sagen, dieses Wort „Electracoustic“, das gab es bis dahin noch nicht, ist also eine Erfindung von mir. Als wir überlegt haben, dass es eine spannende Sache wäre, einige Songs in dieser Art und Weise „gegenübergestellt“ einzuspielen, da fiel mir das Wort ein, es trifft es genau.

Wir haben die Songs innerhalb weniger Tage jeweils in einem Rutsch eingespielt, einmal die Akustik-Versionen, dann die rockigen. Und haben festgestellt, alle Songs funktionieren sehr gut in beiden Gewändern. Nichts geht verloren, im Gegenteil, die unterschiedlichen Stile heben jeweils etwas anderes aus den Songs hervor. Es hat wunderbar funktioniert, und im Ergebnis ist es dann auf Vinyl sogar eine 3-fach Edition geworden!

 

Sandra B: Nochmal zu den klassischen Tonträgern wie LPs und CDs im Vergleich zum Streaming. Wie hältst Du es da privat mit dem Musikgenuss?

 

Julian Sas: Ich habe eine ganze Wand voller LPs, mindestens 10.000 Stück, alle alphabetisch sortiert. Dazu unzählige CDs, auch in die Tausende gehend…Das macht meine Frau schon manchmal wahnsinnig, wird ja auch immer mehr…

Das ist für mich der reine Genuss, Musik zu hören von einem physischen Medium, dass ich anfassen kann, so höre ich Musik am liebsten und kann Stunden damit verbringen.

 

rockfrank: Vielen Dank für das interessante Interview, und wir wünschen Dir beruflich und privat alles Gute.