Titel: Jeannys Rache
Vö: 1986
Label: GIG Records
Österreichs lautester Kulturschock
Rebellion, Satire und Provokation – Die Legende Drahdiwaberl
Wenn es eine Band gibt, die die österreichische Musikszene nachhaltig geprägt hat, dann ist es Drahdiwaberl (Anm. d. Red.: steht für „Dreh dich, Weibchen“). Gegründet 1969 in Wien von Stefan Weber, einem charismatischen Lehrer, Künstler und Provokateur, wurde die Band zum Inbegriff der anarchistischen Musik- und Performancekunst. Mit einem Mix aus Punkrock, Hardrock, Politpunk und gesellschaftskritischer Satire sorgte die Formation über Jahrzehnte hinweg für Furore – und nicht selten für Skandale.
Drahdiwaberl mixten rotzige Texte, eingängige Melodien und eine gewaltige Prise schwarzen Humors zu einem Sound, der sich irgendwo zwischen den Sex Pistols und Falco verirrt (letzterer warin den Anfangstagen selbst Mitglied der Band). Drahdiwaberl ließ den Schleier fallen und richtete die Spots auf das Leid der Gesellschaft – deckte Missstände auf, geißelte Verantwortliche und hielt der Bevölkerung den Spiegel vor. Ihre Texte sind eine Verschmelzung aus Spottgedicht, schwarzem Humor und Anklage. Stefan Weber war sich für nichts zu schade. Frank Zappa wäre stolz gewesen!
Ein wütendes Liebeslied an Österreich – und die Welt
"Jeannys Rache" ist das vierte Album der Band und wurde – nach Beginn der Aufnahmen im Sommer 1985 – im Februar 1986 veröffentlicht. Die Parodie auf Falcos größtem Hit spiegelt sich auch in der visuellen Gestaltung des Covers der LP wider, indem sie die Ästhetik von Falcos "Jeanny" aufgreift und satirisch überzeichnet. Die zwölf Tracks sind ein Mix aus gesellschaftskritischen Hymnen, sarkastischem Humor und rotziger Energie. Das Album eröffnet mit einem Monolog des österreichischen Schauspielers, Kabarettisten und Sängers Eik Breit, der unter anderem durch seine Mitgliedschaft bei der Ersten Allgemeinen Verunsicherung bekannt wurde, wo er die Bassgitarre bediente. Hier ahmt er nahezu perfekt den damaligen österreichischen Bundespräsidenten, Dr. Rudolf Kirchschläger nach.
Liebe Staatsbürgerinnen und Staatsbürger!
In tiefer Sorge um die Jugend wende ich mich noch ein letztes Mal an Sie. In letzter Zeit musste ich immer öfter Schlagermusik mit fragwürdigen Inhalten hören. Das geht so weit, dass sogar
Banküberfälle und Mulatschags verharmlost werden. Meine Frau Hermi und ich bitten Sie daher inständig: Schenkt euren Kindern keine solche Platten, die sie nur verunsichern! Sie sollten sich die
rosarote Brille aufsetzen, dann werden sie den rechten Weg schon finden. Danke!
Der Opener
„Die rosarote Brille“ bringt einen dunklen, wuchtigen Sound, der dir sofort ins Blut geht. Textlich – wie man es von der Band kennt – angriffslustig und hinterfragend. Ein energiegeladener Song, der mit rasenden Gitarrenriffs und einem unbarmherzigen Beat die scheinheilige Doppelmoral der Gesellschaft angreift.
Die rosarote Brille beschreibt hierbei den Zustand eben hinter jener, wo der Morgen schon leicht rosig ist und alles gut zu werden scheint. Jegliche Probleme werden durch die Brille vertuscht – das Volk wird (mal wieder) manipuliert bzw. zum Wegschauen animiert.
Politische Haltung und Einfluss
Die Band nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte immer wieder die österreichische Politik und Gesellschaft. Mit ihrer unverblümten Art griffen sie Tabuthemen wie Korruption, Kirche und Kapitalismus an – oft humorvoll, aber immer bissig. Ihre Texte und Performances waren für viele ein Spiegel der gesellschaftlichen Heuchelei.
„Smash Crash“ beginnt z. B. mit ruhigen, einleitenden Gitarrenklängen, die nach der wuchtigen Eröffnung fast schon zur Entspannung verleiten. Aber wer sich hinreißen lässt, hat
bekanntlich gleich wieder die rosarote Brille auf. Und nach nur wenigen Sekunden lassen Helmut Bibl und Peter Lössl ihre Arbeitsgeräte vom Zügel und peitschen in
atemberaubender Geschwindigkeit mit hardcore-lastigen, treibenden Riffs durch den Song.
Die „Dauererektion“, die man – aus musikalischer Sicht – eigentlich noch von „Smash Crash“ hat, schmettert im bedeutungsschwangeren Refrain des Folgesongs mit den Worten
„Unser Sohn hat eine Dauererektion“ satirisch weiter. Jenes Ritornell wird von Thomas Spitzer und erneut Eik Breit gesungen, während Stefan Weber,
Bernhard Rabitsch und Sü-Vaal Glauder die Ausformulierungen übernehmen. Führt man sich vor Augen, dass Stefan Weber eigentlich ein Kunstprofessor war – also ein hochanständiges Amt
bekleidete –, bringt man den Frontmann der Band nur ungläubig mit seiner Musik und den Texten in Verbindung. Doch genau das ist es, was ihn und die Band ausmachte.
„Stefan Weber heißt das Schwein.“ Mit diesem Satz eröffnet die Stimme einer konservativen Frauenband, die seinerzeit im Studio nebenan gastierte und sich empört über Drahdiwaberl äußerte, den Song „Sprayback“, der es inhaltlich sowie musikalisch in sich hat. Der Songtext enthält provokante Aussagen, die sich unter anderem gegen die Obrigkeit und die katholische Kirche richten. Der Papst wird in einem negativen Kontext erwähnt, und eine kritische Haltung gegenüber Religion und gesellschaftlichen Normen wird ganz klar kommuniziert. Zudem werden Themen wie Konsumgesellschaft und soziale Missstände in Wien angesprochen. Durch seine provokante Art und die harte musikalische Linie bleibt „Sprayback“ ein markantes Stück österreichischer Musikgeschichte.
Der „Mulatschag“ ist vielleicht der Song schlechthin, der für alle Zeiten mit der Band verbunden wird. Anm. der Redaktion: (Der österreichische Begriff „Mulatschag“ stammt ursprünglich aus dem Ungarischen. Das Wort leitet sich vom ungarischen Begriff „mulatság“ ab, was so viel wie „Vergnügen“, „Feier“ oder „Festlichkeit“ bedeutet. In der österreichischen Umgangssprache, vor allem im Osten des Landes (z. B. Wien und Burgenland), hat sich Mulatschag eingebürgert als Bezeichnung für:
ein ausgelassenes Fest oder
eine wilde, feuchtfröhliche Party mit viel Alkohol, Musik und guter Laune – oft auch mit einem Hang zum Kontrollverlust.
Im Kontext des Songs steht er also für eine ekstatische Feier oder einen wilden Rausch. Der Refrain schwillt wie eine Lawine an und lädt zum Mitbrüllen ein. Der Einfluss klassischer Hardrock-Legenden ist unverkennbar, doch das alpine Thema und die starke Basslinie von Maria „Thunderbird“ Leitner verleihen dem Song eine individuelle Note. „Mulatschag“ ist – wie bereits angedeutet – eine satirische und provokante Aufforderung zur Befreiung von gesellschaftlichen Normen und Zwängen. Er kritisiert die spießige Gesellschaft und ruft zu einem exzessiven, hemmungslosen Ausbruch auf.
Ein zentraler Punkt des Albums stellt „Jeanny Part 13“ da. Der Titel „Part 13“ ist eine absurde Steigerung (es gab offiziell nur „Jeanny Part 1“ und „Part 2“ von Falco). Drahdiwaberl übertreiben bewusst, um die mediale Ausschlachtung und Skandalisierung der ursprünglichen „Jeanny“-Thematik zu kritisieren. Der Song ist eine provokante Antwort auf die kontroversen „Jeanny“-Songs von Falco. Insbesondere der erste Teil („Jeanny“, 1985), wurde damals heftig diskutiert, weil er aus der Sicht eines mutmaßlichen Täters erzählt wird, der eine junge Frau entführt oder gar ermordet hat. Die Interpretation blieb bewusst vage, was medial für große Empörung sorgte.
In „Erschiess die Zombies“ wird unter anderem die langsame Arbeitsweise von Beamten angeprangert. Außerdem stehen die die Zombies exemplarisch für geistlose Massen, die sich vom Fernsehen und Medien beeinflussen lassen – stumpf, gleichgültig, manipuliert. Es geht um eine Gesellschaft voller Angepasster, Mitläufer, Bürokraten, Medienkonsumenten, Funktionäre – also um Menschen, die mechanisch funktionieren, ohne zu hinterfragen.
„Stechschrittmambo“ ist eine bitterböse Satire auf die Normalisierung von autoritärem Denken und Faschismus, verpackt in einem absurden, tanzbaren Gewand. Es ist kein reiner Spott, sondern eine künstlerische Intervention, die zum Denken anregen will – darüber, wie leicht Gesellschaften autoritäre Tendenzen verharmlosen oder sogar mitreißend finden, solange sie gut inszeniert sind.
An den „Schlachtschußapparat“ tasten wir uns zunächst durch Wikipedia heran und übertagen das Ergebnis auf den Song von Drahdiwaberl. (*Schlachtschussapparate sind Geräte, die bei der Schlachtung zum Betäuben von Schlachttieren verwendet werden. Damit soll den Tieren unnötiges Leid erspart werden. Die Geräte sind meist Bolzenschussapparate und seltener Kugelschussapparate. Im Gegensatz zum Bolzenschussapparat besteht beim Kugelschussapparat die Gefahr von Abprallern und anderen Unfällen analog zu Schusswaffen)
Drahdiwaberl wählt den Begriff Schlachtschussapparat möglicherweise metaphorisch – als Symbol für: Gesellschaftliche Betäubung – im Sinne von Manipulation oder Emotional-Lähmung der Menschen. Hier zündet die Band ein gnadenloses Brett instrumentaler Wahnsinnigkeit – kompromisslos, roh und mit der Attitüde einer Shock-Rock-Underground-Band, als solche man sie verdammt nochmal auch bezeichnen sollte!
Den wortwörtlichen Abgang des der Langrille bestreitet die Band praktischerweise mit einem gleichnamigen Song. Stefan Weber will hier den körperlichen und mentalen Verfall älter werdender Rocker zynisch und entlarvend darstellen. Der Text beschreibt eindrücklich und sarkastisch, wie einst unerschütterliche Größen auf der Bühne nun mit dem Altern und den damit verbundenen Beschwerden ringen. Schon die ersten Zeilen verraten viel:
Auch „Abgang“ ist, wie die gesamt LP, musikalischer hardcore vom Feinsten, den es so in Österreich wohl nicht mehr geben wird.
Fazit: „Jeannys Rache“ ist eine radikale, sarkastische und bitterböse Abrechnung mit gesellschaftlichen Missständen der 1980er-Jahre – verpackt in grotesken Sound und anarchistische Texten. Musikalisch bewegt sich das Album zwischen Hardrock, Punk, Wiener Schmäh und dadaistischer Klangcollage. Die Songs sind oft weniger Lieder als Statements – unbequem, laut, ironisch und entlarvend. Weniger Hörgenuss im klassischen Sinne, sondern eine kunstvolle Provokation – ein Spiegel für eine Gesellschaft, die lieber wegsieht als widerspricht. Wer Drahdiwaberl versteht, erkennt darin nicht Chaos, sondern kalkulierten Wahnsinn mit politischem Biss.
rockfrank