Titel: Million Voices Whisper
Vö: 01.11.2024
Label: Fantasy Records-Concord
Die Welt dreht sich im Kreis,
Wirbelt wie ein Kreisel.
Mein Kopf schwirrt,
Ich kann es einfach nicht stoppen.
All diese Veränderungen – da muss jeder durch,
Warum sollte es für Dich und mich anders sein?
Ich brauche Dich mehr, als Du ahnst,
Doch ich schaffe es einfach nicht, es Dir zu zeigen.
All diese Veränderungen – in allem, was wir berühren,
All diese Veränderungen – manchmal ist es einfach zu viel.
So nachdenklich beginnt „These changes”, der Opener von „Million Voices Whisper“, dem neuen Werk von Gitarren-Koryphäe Warren Haynes. Und er geht mit dem Longplayer auch ein stückweit zurück zu seinen Wurzeln. Aus seiner Biografie heißt es: *`Warren Haynes' musikalische Reise begann, noch bevor er jemals eine Gitarre in die Hand nahm. „Ich habe in meinem Schlafzimmer gesungen und versucht, all meine Lieblings-Soul-Sänger nachzuahmen“, erinnert er sich. „Diese frühen Eindrücke und Einflüsse sind sehr tief und bleiben einem.“ Diese Spur von Soul zieht sich stark durch sein neues Album, “Million Voices Whisper“. Eine Veröffentlichung aus dem Hause Hayens, egal in welcher Kollaboration oder solo, birgt auch immer eine gewisse Ansprüchlichkeit auf eine besondere, musikalische Versorgungsmentalität. Und diese hat der 64-jährige Ausnahmemusiker erneut auf den Punkt gebracht und mit seinem neuem Album zu mehr als 100% erfüllt. „Million Voices Whisper“ ist ein Bravourstück, anders kann man es nicht bezeichnen.
Doch zurück zum Opener: „These changes“ hat Haynes gemeinsam mit seinen Kollegen Derek Trucks und Mike Mattison geschrieben, wobei Trucks hier auch sein Gitarrenspiel einbringt und sich auch als Co-Produzent für das gesamte Album auszeichnet. Den Klang seiner 6-saitigen steuert er noch auf zwei weiteren Songs bei. „These changes“, welches fast schon melancholisch wirkt, erhält durch die eingesetzten Bläsersektionen einen souligen Einschlag. Die freundliche Monotonie des Rhythmus verleiht dem Stück eine hohe, atmosphärische Dichte. Haynes außergewöhnliche Stimme trägt dazu eine Schwere bei, die tief berührt. Die letzten beiden Minuten der Ballade gehören allein den warmen Klangfarben der beiden Slide-Gitarren von Derek und Warren. Die Raffiniertheit ihrer Soli tranzendieren Dich, wenn Du es zulässt, in einer andere Welt. Hier sind zwei Teamplayer auf allerhöchstem Spielniveau am Werk. Derweil findet sich die Thematik von „These changes“, also wie man Dinge vielleicht verändern oder verbessern kann, in ähnlicher Form auch in anderen Songs des Albums, und entwickelt sich zum vorherrschenden Thema aus „Million Voices Whisper“. Was für ein Einstieg in ein Album, welches durchaus als eines seiner besten Soloarbeiten tituliert werden darf. Die Pforten jedenfalls sind mit „These changes“ weit geöffnet! Das folgende „Go down swinging“ brilliert mit einer lebhaften Klangbasis und zeigt die Virtuosität und das Feingefühl, mit dem Haynes sein Metier beherrscht, wartet mit mannigfaltigen Nuancen auf. Besonders das Tastenspiel von Keyboarder John Medeski kommt hier exzellent zur Geltung. „You ain’t above me“ bietet einen Cocktail aus Singer/Songwriter, Folk und einem gewissen Rock-Einschlag. Warren‘s Timbre ist kraftvoll und vorpreschend, gibt dem Track dadurch die richtige Untermalung. Inhaltlich stellt der Song eine Beziehung in Frage – „Du stehst nicht über mir, und ich werde nicht zulassen, dass Du mich so kleinmachst“. Die Bassläufe von Gov’t Mule Mitstreiter Kevin Scott, den Haynes in seine All Star Band etabliert hat, bilden hier, sowie in allen anderen Songs, zusammen mit den straff punktierten, polyrhythmischen Strukturen von Schlagwerker Terence Higgins und Keyboarder John Medeski, das Rückgrat.
photo by: Shervin Lainez
„This life as we know it“ stellt die erste Single-Auskopplung des Albums dar. Auch hier geht es um dass Verbessern, um Veränderung. Eine umfassendes Statement hin zur Positivität, entstanden aus den Folgen der Corona-Lockdowns. Die Melodie ist eingängig und der Groove entspannt. Der Song strahlt eine optimistische Botschaft aus, die sofort beim Hörer ankommt. Eine Power-Ballade, die tief unter die Haut geht und durch den Background Gesang von Saundra Williams nochmal eine eindringliche Note erhält. Warren Haynes dazu: „Das Musikgeschäft und die Welt im Allgemeinen hatten sich verändert“, sagt er. „Der Song war ein Weg, die positive Seite des Wandels zu umarmen und mit neuem Blick nach vorne zu schauen – beginnend bei sich selbst: Wie machen wir die Dinge besser?“ In „Day of reckoning“ hat sich Hayne‘s erneut prominente Unterstützung ins Boot geholt. Niemand geringeres als Lukas Nelson, Sohn der Outlaw-Legende Willie Nelson, begleitet ihn hier gemeinsam mit dem amerikanischen Singer/Songwriter Jamey Johnson. Er hat das Stück, welches durch seine Intensität besticht, auch gemeinsam mit Lukas geschrieben. Das anschließende „Real real love“ ist ein sehr besonderes Stück. Er wurde urprünglich von Gregg Allmann, kurz vor dessen Tod, begonnen. Aus der offiziellen Presseerklärung heißt es dazu: *Einer der Tracks ist „Real Real Love“, ein Song, der ursprünglich gemeinsam mit Gregg Allman geschrieben wurde und den Warren im Stil und mit den Methoden von Allman bearbeitete, als ob Gregg ihn zu Ehren seines Freundes singen würde.
„Real real love“ ist eine sehnsuchtsvolle Ballade, die sich mit der Suche nach echter Liebe befasst. Gepaart mit des Protagonisten bis auf die Haut durchdringenden Gesanges ist der Song eine Perle und definitiv ein Höhepunkt auf „Million Voices Whispers“. Du fragst Dich automatisch, wie Warren Haynes es immer wieder schafft, seiner Musik solch fast überempirische Impulse zu verleihen. Anderseits, man muss es auch nicht verstehen. Dem Autor dieser Rezension überkommt nichts als tiefe Dankbarkeit.
Die erneut soulige Präsenz in „Lies, lies, lies“ ist unüberhörbar, bekommt im Verlauf des Songs auch noch einen leichten psychedelischen Anstrich und versetzt Dich in der Folge erneut in einen metaphysischen Zustand. Der Song ist ein psychedelischer Grenzgänger, verleiht Dir einen psychoakustischen Kick. Der Autor dieser Rezension stößt zum wiederholten Male an seine rhetorischen Hemmnisse. Die melodische Komplexität Haynes ist frappierend. In „From here on out“, der achte Titel des Albums, wird erneut eine Beziehung thematisiert, die irgendwann zu Ende ging und der Protagonist sich nun fragt, ob er es hätte besser machen können: „Wir hatten eine gute Zeit – heizten über die Straßen, wie eine Bande von Dieben. Das Leben hatte gerade erst begonnen – und wir lebten es in vollen Zügen, ohne jemals langsamer zu werden. Wir wirbelten den Staub auf – während wir über jeden einsamen Weg zogen. Ohne zu wissen, wohin wir wollten – aber wir fanden immer wieder zurück zu dem Licht, das wir suchten. Von hier aus – könnte ich mich fragen, ob ich es hätte anders machen sollen. Aber wenn es drauf ankommt – musst du in diesen Traum eintauchen und nach dem Ring greifen. Aber du musst ihn erst finden – verfluche nicht das Schicksal – das ist eben die Realität“. Musikalisch strahlt der Track eine optimistische Lebensbejahung aus, packt Dich sofort an Deiner Seele, reißt, gemeinsam mit dem Text, gefühlte Schranken nieder. Ein akustischer Taumel aus Emotionen...
photos by: Shervin Lainez
In „Till the sun comes shining through“ bewegt sich der mit einem Grammy ausgezeichnete Singer/Songwriter erneut auf balladesken Spuren und präsentiert eine fragile, aber getragene Song-Struktur, die mit Beseeltheit und virtuosen Gitarrenfiguren aufwartet. *„Die Welt wird düsterer“, singt er, verspricht jedoch, „Ich halte dich fest, bis die Sonne wieder scheint.“
„Terrified“ schließt sich nahtlos in die Riege jener grandiosen Songs der neuen Langrille des Gouverment Mule Frontman an. Das letzte Stück des Albums stellt mit satten 09:23 Minuten dann auch den längsten Part des Longplayers dar und bietet nochmals eine Ausruckssteigerung. Neben Warren`s Gesangsspur ist „Hall of future saints“ auch eine gelungene Instrumentalsymphonie. Terence‘s Drumm-Kit brennt ein schnelles, präzises Drumming ab, und die sich duellierenden Arbeitsgeräte von Haynes und Trucks erreichen ein orgiastisches Jam-Niveau, welches seinesgleichen sucht! Haynes gedenkt in „Hall of future saints“ seinen bereits verstorbenen, musikalischen Helden.
Fazit:
Warren Haynes reißt mit „Million Voices Whisper“ erneut musikalische Barrieren ein und liefert ein Album ab, welches seine Karriere als Gitarrist, Sänger und Songwriter krönt. Die Vielseitig des Longplayers ist sowohl tief im Soul, als auch Blues, Americana und im Allmann-Universum verwurzelt. Der Künstler setzt sowohl funkig-soulige wie auch psychedelische Akzente, die den Hörer nicht mehr loslassen. Die exaltierte Gitarrenarbeit und seine außergewöhnliche Stimme grundieren seine Affinität zum Blues. Arbeitstechnisch verlässt sich der Musikschaffende ganz auf den Klang seiner Signature Les Paul und der Blonde Gibson ES-335. Sie sind sein handwerkliches Ausdrucksmittel und sein Markenzeichen.
In zwei Sätzen beschrieben lässt sich für die neue Produktion von Warren Haynes folgende Aussage treffen: Die Bedeutung der Musik von “Million Voices Whisper” hinterlässt nachhaltig ihre Spuren. Während draußen die Blätter in feurigen Farben aufschlagen, liefert uns der Longplayer im Inneren der guten Stube ein überwältigendes Hörerlebnis!
*Zu den vier Bonustracks auf der Deluxe-CD-Version gehören eine neue Version der Trucks-Haynes-Komposition „Back where i started“ mit Warren an Leadgesang und Slide-Gitarre und das Power-Trio Haynes, Nelson und Johnson, das den CSNY-Klassiker „Find the cost of freedom“ in eine erweiterte Version von „Day of reckoning“ verwandelt.
*Quelle: Oktober Promotion