photo by: Andreas Graumnitz
Ein Gespräch mit Andreas Graumnitz – Deutschlands bekanntestem Westernhagen-Double: Von seinen Anfängen in der DDR, über seinen Weg zu Westernhagen bis hin zu aktuellen Projekten.
rockfrank: Bevor wir auf dich und deine Performance kommen: Erinnerst du dich an deinen ersten Berührungspunkt mit der Musik von Marius Müller-Westernhagen?
Andreas Graumnitz: Sicher. Auch wenn ich zunächst bei einer anderen Musik zu Hause war. Ich habe jahrelang Rockmusik gespielt (Crosby, Stills, Nash & Young, Jimi Hendrix bis Ten Years After) aber auch viele Jahre im Theater gearbeitet. Irgendwann kommt man zu „Johnny Walker“, „Sexy“ und „Pfefferminz“. Aber nicht vor dem Hintergrund, dass ich das unbedingt mal machen wollte. Viele Jahre später ist es dann so gekommen.
rockfrank: O.K., Andreas, wie hast du damals generell deinen Weg in die Musikbranche gefunden? Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis, einen besonderen Moment? Oder waren es die Vibes der Stones und Beatles, die ja auch in der DDR, wo du aufgewachsen bist, nicht unbemerkt blieben?
Andreas Graumnitz: Mein Großvater saß bei jeder Feier zu Hause und in der Firma am Flügel und spielte für seine Gäste. Er prägte also schon musikalisch meine Kindheit. Ebenso mein 5 Jahre älterer Bruder, der in seiner Band Bass spielte, sang und natürlich auch die Beatles coverte. Ich wollte dann, es war so in der 5. Klasse, unbedingt Musik machen. Später, bei den Auftritten meines Bruders, bin ich dann auch oft mitgefahren. Da wurde mir klar: Das will ich auch!
rockfrank: Wie bist du dazu gekommen, Marius Müller-Westernhagen zu covern? Wurdest du mal darauf aufmerksam gemacht, dass du ihm ähnlich klingst oder siehst?
Andreas Graumnitz: Das war ganz schräg. Ich habe in Weimar Musik studiert und wollte dann zurück ans Theater, anschließend Regie studieren. Aber alles kam anders, wie es im Leben so ist – irgendwie filmreif! Ich hatte sehr lange Haare, es nieselte draußen, ich ging über den Potsdamer Platz, lief ins Hansa Studio, welches ich besuchen wollte, denn da war die Band Silly. Ich machte die Haare nach hinten und jemand sagte: „MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN“. Es war die ehemalige Sängerin von Silly, Tamara Danz, noch vor ihrem Tod 1996. Ich drehte mich um und sagte: „Wo ist er?“ „Hat dir das noch keiner gesagt, dass du aussiehst wie Marius Müller-Westernhagen?“, fragte Tamara. Ich habe das Erlebnis lange weggelegt, weil ich dachte: „Quatsch, ich studiere Musik und dann soll ich jemanden doubeln?“ Ich wollte einfach meine Musik machen. Damals hatte ich in Weimar parallel noch eine Galeriekneipe und später auch einen Musikklub. Eine meiner Stammgästinnen hatte mich dann doch überzeugt, den Marius zu probieren. Sie sagte: „Komm zu mir“, hat Sachen mit mir besprochen und geübt. Irgendwann nach ein paar Jahren mit vielem Ausprobieren und Proben hatte ich eine ähnlich klingende Stimme wie Marius Müller-Westernhagen.
rockfrank: Versuchst du in deinen Shows, Westernhagens Gesang und Gestik originalgetreu nachzuahmen, oder bringst du auch eigene Elemente ein?
Andreas Graumnitz: Ich bringe immer schon mein eigenes Ich ein. Aber natürlich bin ich darauf bedacht, dass das Publikum Marius vor sich hat. Vor einigen Jahren haben mir mal sein Management und seine Musiker gesagt, dass sie es ziemlich cool finden, wie ich das mache. Selbst Marius hat sich wohl mal geäußert, dass meine Show mit sehr viel Authentizität rüberkommt.
rockfrank: Wie gehst du mit dem Vergleich zu Westernhagen um – empfindest du das als Ehre oder eher als Herausforderung?
Andreas Graumnitz: Beides! Es ist eine große Ehre und ich empfinde es als ein Geschenk, dass ich ihm ähnlichsehe, gesanglich nah komme und musikalisch auch mit meiner großartigen Band sehr gut mithalten kann! Ich empfinde sehr großen Respekt vor dem, was er geschaffen hat. In all den Jahren verstehe ich Marius musikalisch und textlich immer mehr!
rockfrank: Trotzdem bringst du deine eigene Charakteristik ein.
Andreas Graumnitz: Genau!
rockfrank: Dein persönlicher Lieblingssong von Westernhagen?
Andreas Graumnitz: Es sind mehrere geworden. Aber einer ist mir besonders ans Herz gewachsen. Ich war vor vielen Jahren auf der Autobahn unterwegs. Im Radio lief „Weil ich dich liebe“ (Andreas stimmt den Song an). Geiler Song, cool gemacht, super Groove! Es gibt ein paar Songs, die ich erst singe, seitdem wir die wunderbare Sängerin Katrin Leonora in der Band haben, z.B. „Durch Deine Liebe“ und „Luft um zu atmen“. Die Energie, die dort zwischen uns entsteht, ist nahezu greifbar und die Gänsehaut geht durch das Publikum. Ich liebe diese Momente voll mit puren Emotionen. Das ist, was wir erreichen wollen. Die Zuhörer für zwei bis drei Stunden aus ihrem Alltag holen und alle Sorgen vergessen lassen. Einfach abtauchen in die Musik!
rockfrank: Auch „Taximann“ und "Dicke"?
Andreas Graumnitz: Das ist von Region zu Region anders. Es gibt Gegenden, in denen mir sicher der Kopf abgerissen werden würde, wenn ich nicht „Taximann“ oder „Dicke“ spiele! Zu dem Lied „Dicke“ gibt es immer eine Erklärung, um niemanden zu verärgern. Marius will damit der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, ihnen zeigen, was für Vorurteile im Raum stehen. Das wird gern mal falsch interpretiert.
rockfrank: Du bist nicht nur als Tribute-Sänger bekannt, sondern begeisterst auch mit deinen eigenen Songs. Titel wie "Großes Kino" und "Auf Empfang" zeigen eindrucksvoll, dass mehr in dir steckt als das Westernhagen-Double. Arbeitest du derzeit an weiteren eigenen Songs und gibt es möglicherweise Pläne für eine Albumveröffentlichung?
Andreas Graumnitz: Eine eigene CD war 2021 geplant, doch dann kam Corona… Fast zwei Jahre gab es keine Live-Auftritte, die Band hat sich kaum gesehen – es war wie ein Berufsverbot für Musiker. Mittlerweile gibt es 14 Songs von mir. An einigen Liedern arbeite ich aktuell noch im Studio. Es wird also in naher Zukunft ein Album geben!
rockfrank: Wie unterscheiden sich deine eigenen Songs stilistisch von den Westernhagen-Songs?
Andreas Graumnitz: Ich habe ein Lied, mit dem alles anfing: „Großes Kino“. Dieses sollte schon etwas wie Westernhagen klingen. Andere Songs von mir, wie „Ich habe den Blues schon etwas länger“, „Auf Empfang“ oder auch „Du schaffst das“ haben sehr wenig musikalisch und textlich mit Marius zu tun. Hätte ich damals nicht die Entscheidung getroffen, Westernhagen zu doubeln, wäre ich wahrscheinlich kein Solosänger geworden. Ich war immer der typische Gitarrist, der nur Background gesungen hat!
rockfrank: Ich möchte nochmal auf deine Anfänge bzw. Jugend zurückkommen. Du bist in Ostdeutschland geboren und aufgewachsen. Wie hast du die Musikszene in der DDR wahrgenommen?
Andreas Graumnitz: Ich war ein „Jesus-People“. Das heißt, ich wuchs neben einer Kirche auf, engagierte mich dort auch sehr. Dieser Umstand prägte mein musikalisches Dasein. Die Musik war ab der 4. Klasse auch gerade durch meinen Bruder und durch das Gemeindehaus nebenan sehr präsent. In meiner ersten Band haben wir Chicago, Blood, Sweat & Tears und Carlos Santana gespielt. Es gab Einstufungen seitens der DDR. War man gut, hat man mehr Geld bekommen. Zur Einstufung mussten Ost-Titel gespielt werden. Ich bin ehrlich, mit der Ost-Musik bis auf wenige Ausnahmen kann ich nicht viel anfangen. Doch es gab Bands, die in der DDR die Häuser füllten, wie z.B. Renft, Rockhaus, Modern Soul – das waren Bands, zu denen ich auch gerne gegangen bin. Man kann sich das nicht vorstellen, Säle mit bis zu 1.500 Menschen. Die waren so gerammelt voll, dass die Musiker über die Köpfe der Leute hinweg auf die Bühne getragen wurden. Das war eine lebendige Szene in der „3. Liga“, für die jungen Leute wie ein Ventil.
Ich war beschäftigt mit meinen Projekten und musikalischen Unternehmungen, was mich glücklich machte. Viele meiner Freunde, die ab 1973 in die Bundesrepublik ausgereist sind, sagten: „Mach’s gut mein Lieber, du lebst ja hier wie auf einer Insel.“ Daraufhin antwortete ich immer: Einer muss ja noch bleiben und ein wenig Unterhaltung machen für die, die hiergeblieben sind!“
Die DDR war ein Mekka der Musik. Es gab eine Einstufung für Bands: 60:40. Das hieß, man musste 60 Prozent DDR-Titel spielen und durfte 40 Prozent West-Songs vortragen. Mit dem Trio Dreifuß (Günter Scholze, Wolfgang Bernewitz und ich) – drei Gitarren, drei Stimmen haben wir schon damals eigene Songs gespielt. Wir sind rund 20-mal im Monat aufgetreten. Titel wie „Frei, frei durch die Welt“ wurden natürlich sofort verboten. „Lass uns doch zusammenbleiben, Leben ohne jeden Zwang“ wurden durch die öffentlichen Medien untersagt. (Andreas stimmt den Song an)
Außerdem war Dreifuß im Jugendfernsehen der DDR. Dort durften wir als erste Band den englischen Song „A Horse with No Name“ von der Gruppe America covern. Die eigenen Songs waren, wie erwähnt, oft zu kritisch! Wir haben uns nicht gebeugt, spielten die Titel trotzdem live zu den Konzerten. In jedem Studentenclub oder Konzertsaal saßen meistens ein paar Stasi-Mitarbeiter unter den Zuschauern. Im Prinzip war alles angstschürend: keine freie Meinungsäußerung, immer im Gleichschritt... Ich hatte zum Glück viele Verwandte im Westen. Das machte mich zu einer Art Revolutionär. Ich konnte dadurch leichter eine Gitarre bekommen. Meine Lieblingstante schickte mir Gitarrensaiten und Effektgeräte, das macht schon etwas mit einem.
Im Nachhinein betrachtet, habe ich unbeschwert und locker gelebt, es mir aber auch erarbeitet und die „Klappe“ gehalten, wenn ich sie halten musste. Es hätte mir nichts gebracht, wenn ich auf die Bühne gegangen wäre, wie manch anderer, der die DDR kritisierte und dann im Knast landete. Wir haben stattdessen lieber Lieder mit versteckten Botschaften gesungen.
In Bautzen gab es das „Gelbe Elend“. Das war ein altes KZ, das zu einem DDR-Gefängnis umfunktioniert wurde. Ich habe Leute erlebt, die nach fünf Jahren wieder rauskamen und sich nicht mehrrichtig artikulieren und bewegen konnten.
rockfrank: Du hast, wenn ich richtig recherchiert habe, drei Kinder. Ist dir eines davon in deine musikalischen Fußstapfen gefolgt, oder haben sie andere Wege eingeschlagen?
Andreas Graumnitz: Alle drei haben zehn Jahre Musikschule gemacht (Klavier, Flöte, Saxofon und Gitarre). Sie sehen aber auch, wie schwer es geworden ist, aus wirtschaftlicher Sicht Musik zu machen. Wir musizieren an Feiertagen und zu Geburtstagen immer noch gemeinsam.
rockfrank: Wenn du dich in Berlin oder anderswo bewegst – ist es schon vorgekommen, dass dich Leute bewusst ansprechen, weil sie denken, sie hätten den echten Westernhagen vor sich? Oder achtest du privat auf dein Styling, um eben nicht wie Marius Müller-Westernhagen zu wirken?
Andreas Graumnitz: Fangen wir mal ganz aktuell an. Ich war am Montag schon hier in Bremen und lief am Rathaus vorbei, da kommt mir ein Ehepaar hinterher. Sie fragten mich: „Herr Westernhagen, wir kennen Sie nur aus dem Fernsehen. Dürfen wir sie einmal fotografieren und drücken?“ Dabei hatte ich keine Sonnenbrille auf und auch kein Bühnenoutfit an. Wir haben uns dann auf eine Bank auf dem Marktplatz gesetzt und gequatscht. Es passiert fast tagtäglich und ich kann mittlerweile gut damit umgehen. Egal ob im Flugzeug oder „Auf einer einsamen Insel“ (unser letzter Titel heute Abend im Programm). Auf einer einsamen Insel in der Karibik lief ich mal am Strand entlang, da sahen mich Leute aus Dortmund von einer Strandbar aus und plötzlich brüllten alle: „MARIUS!“
In Hamburg wollte mich auch mal ein Künstler zeichnen, weil er ebenfalls dachte, dass ich Marius bin. Meine Managerin war zu dem Zeitpunkt mit dabei. Der Maler flüsterte mir dann zu, dass er meiner Frau nicht erzählt, dass ich mit einer hellhäutigen jungen Dame gesichtet wurde. Also wie Du siehst, da kann ich viele Stories erzählen.
rockfrank: Ein geiles Gefühl?
Andreas Graumnitz: Doch, schon. Ich will eigentlich auch mal abschalten, aber es ist schon geil. Ich war z. B. gestern auf einem Konzert eines befreundeten Gitarristen mit seinem Duo Goosebumps eingeladen. Er sah mich reinkommen und sagte dann zum Publikum: „Begrüßen Sie mit mir Andreas Marius -Weitersagen.“ Alles drehte sich um und grölte. Krolli mein Freund meinte: „Weitersagen, nicht Westernhagen!“ (Andreas schmunzelt)
rockfrank: Was findet man in deiner privaten CD- oder Plattensammlung für Musik? Womit entspannst du dich?
Andreas Graumnitz: Also entspannen – mit Klassik. Ich liebe zum Beispiel Bach. Ich sagte bereits, dass ich früher immer in die Kirche zu den Orgelkonzerten gegangen bin. Freiberg hat einen Dom mit einer großen Silbermann-Orgel. Der damalige Domkantor Hans Otto, der oft weltweit unterwegs war, spielte dort eindrucksvolle Werke. Das berührte mich immer sehr.
Ansonsten aber auch gern Earth, Wind & Fire, Steely Dan und viel Soul- und Funkmusik. Stevie Wonder ist genau meine Welt. Auch Edo Zanki – ein deutscher Soul-Sänger. Hör da mal rein, da bleibt dir die Spucke weg! Ein großartiger Künstler, viele deutsche Musiker waren schon bei ihm in der Band.
Durch meine Partnerin bin ich aber auch ein großer Fan von Joris geworden. Er ist ein sehr talentierter Songwriter und Entertainer, dem es wichtig ist, noch selbst Texte zu verfassen – kein KI. Das ist in der heutigen Zeit sehr selten geworden. Wenn es unsere Zeit erlaubt, gehen wir gern auch zu Konzerten. Man muss auf dem Laufenden bleiben und sich neue Inspiration holen, um auch das junge Publikum anzusprechen. Wichtig ist es, sich immer wieder neu zu erfinden und neue kreative Wege einzuschlagen!
rockfrank: Keith Richards hat mal sinngemäß gesagt: „Wir spielen so lange, bis einer den Löffel abgibt.“ Du bist Vollblutmusiker und von klein auf mit dem Metier vertraut. Kannst du dir vorstellen, irgendwann in Musik-Rente zu gehen, oder sagst du dir auch: „Auf der Bühne bis zum Umfallen“?
Andreas Graumnitz: Soll ich es deutlich sagen? NEIN, ich höre nicht freiwillig auf! Ich möchte vom Barhocker oder von der Bühne fallen.
rockfrank: Letzte Frage: Jemand schenkt dir zum Geburtstag jeweils ein Grönemeyer- und ein Westernhagen-Ticket. Welches Konzert würdest du besuchen?
Andreas Graumnitz: (Mit einem Lächeln) Ohhhh, du bist böse. Aber ich kann dir sagen, wir waren neulich auf einem Grönemeyer-Konzert und natürlich auch beim aktuellen Westernhagen-Konzert! Es haben beide Ihre Qualitäten. Aber Westernhagen ist natürlich mein Meister!
Ich bedanke mich für das interessante Interview und wünsche Dir für die Zukunft alles Gute!
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